Sieben. Ein Kriminalstück für Schultheater

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              SIEBEN

 

 

         von Andreas Cotterell

 

 

 

Personen:             Sara, eine junge Frau

                               Paul, ihr Bruder

                               Ströbing, Kriminalbeamter

                               Ebert, leitender Kriminalbeamter

                               Florres, Rechtsanwalt

                               Strunz, Psychiater

                               Kah

 

 

Mit Zitaten aus: “Der Tod des Reporters” von Gert Prokop.

 

 

 

1. Bild                 Zelle im Polizeirevier, angrenzend Diensttisch mit zwei Stühlen.

 

 

1.1                 Ströbing am Tisch. Ebert kommt rein mit Sara Mysczik, geht durch zur Zelle.

 

Ebert: Kommen Sie hier rein. Ja, hier. Hier ist es. Setzen Sie sich. Herr Ströbing, wenn sie bitte aufschließen können…

Also, wie gesagt, Ebert mein Name, ich leite hier die Untersuchung im Fall Maurer. Getötet am siebten siebten durch sieben Messerstiche. Komisch, ist das Zufall oder Methode.

Gut, jedenfalls… zunächst zu ihnen, sie sind… ah ja, Frau Sara Mysczik, wie wird das gesprochen? Sara Mysczik, nun gut. Das sind sie doch? Geboren am 11.9.1989 in Mückelstedt… also Deutsch sind sie dann ja nicht erst seit gestern, nicht? Staatsangehörigkeit Deutsch. Gut. Stimmt das soweit?

 

Mysczik nickt schwach

 

Ebert: So, sie gehören nicht zur gesprächigen Sorte. Auch recht. Frau Mysczik, ihnen wird vorgeworfen, am 7.7. dieses Jahres Herrn Ulf Maurer in seiner Wohnung in Neustadt durch sieben Messerstiche getötet zu haben. Die Tatwaffe weist ihre Fingabdrücke auf, sie waren zur Tatzeit am Tatort, sie hatten seine Papiere an sich genommen, kurz, es gibt keinen vernünftigen Grund, an ihrer Schuld zu zweifeln, es sei denn, sie erzählen uns etwas, was wir noch nicht wissen.

 

Mysczik schweigt.

 

Ebert: Gut, dann will ich sie nicht länger aufhalten. Niemand zwingt sie hier, zu reden. Vielleicht hat ja ihr Rechtsanwalt mehr Glück bei Ihnen. Obwohl, das Glück bräuchten eigentlich sie. Ich sehe sonst nicht, wie sie aus der Sache noch rauskommen können. Naja, bis denn dann…

 

                  Ströbing, Ebert am Tisch

 

Ströbing:                  Glaubst du wirklich, daß sie es war?

Ebert:                   Mensch, was weiß ich denn. Zumindest haben wir jemanden. Wir brauchen mal wieder einen schnellen Erfolg, sonst geht’s bald zur Verkehswacht.

Ströbing:                   Und wenn sie es nicht war?

Ebert:                  Wer solls denn sonst gewesen sein? Wir haben niemand anders.

Ströbing:                   Die ist doch geschockt. Die braucht einen Psychiater, kein Gericht.

Ebert:                   Dann find uns doch einen bessern Schuldigen. Und Ihren Psychiater wird die noch bekommen, da geht der Verteidiger auf Unzurechnungsfähigkeit, dann gibt’s Therapie und dann isse schon wieder draußen.

Ströbing:                  Und der Mörder läuft frei herum…

Ebert:                   Das sichert uns den Job. Nun hab dich nicht so.

Ströbing:                  Gibt’s eigentlich eine Zulage diesen Monat?

Ebert:                   Kommt drauf an. Wenn sie es war, stehen die Chancen gut.

Ströbing:                  Ich werde sie mir nochmal vornehmen.

Ebert:                   Erst ist der Rechtsanwalt dran. Der wartet schon.

 

                  Florres geht durch zur Zelle

 

Florres:                  Guten Tag, mein Name ist Florres, ich bin ihr Rechtsanwalt. Wollen wir uns nicht setzen?

Gut, dann stehen wir halt.

Vielleicht schildern sie einmal den Abend aus ihrer Sicht? Vielleicht gibt es etwas, was noch niemand weiß, was sie entlasten würde?

Hören Sie, ihre Lage ist nicht so hoffnungslos, die Beweise der Polizei sind bestenfalls Indizien, und auf bloßen Verdacht hin kann man niemanden einsperren. Aber wenn sie nicht mitarbeiten, wenn sie nicht reden, dann wird es schwierig, dann gibt es eigentlich nur die Chance Unzurechnungsfähigkeit, und das kann sehr unangenehm für sie werden. Tun sie sich das nicht an, reden sie lieber. Wenigstens mit mir. Ich bin ihr Rechtsanwalt, ich steh auf ihrer Seite!

Brauchen sie etwas? Medikamente, Zigaretten? Was zu lesen? Ich kann ihnen was mitbringen!

Vielleicht überlegen sie es sich noch bis zum nächsten Mal. Die Gerechtigkeit ist nichts, was man umsonst bekommt. Ein bißchen was müssen sie schon für sie tun, sonst tut sie auch nichts für Sie. Schönen Tag noch.

 

                 Ströbing, Ebert, Florres am Tisch

 

Ebert:                  Siehst Du! Nichtmal der glaubt an ihre Unschuld.

Ströbing:                   Wie kommst du denn darauf?

 

Florres:                  Die Lady braucht einen Psychiater. Besorgen sie ihr einen, ja? Aber nicht wieder die Strunz, die braucht wirklich jemanden.

Ebert:                   Wird gemacht, Meister!

Florres geht raus

                  Ströbing, mach mal einen Termin mit der Strunz.

Ströbing:                  Du willst die doch nicht auf dieses stumme Mütchen ansetzen?

Ebert:                  Warum nicht? Hat ihr Rechtsanwalt nicht gerade die Strunz erwähnt? Na also!

 

 

 

1.2.                 Strunz, Ströbing am Tisch

 

Strunz:                 Nun erzählen sie mir doch mal was über die Kleine. Ist das eine Simulantin?

Ströbing: Wie soll ich denn das wissen. Die sagt nichts, sitzt den ganzen Tag nur auf ihrer Pritsche und nichts. Ich weiß nicht, ich glaube, ein Simulant könnte das nicht, nicht so.

Strunz:                 Sie unterschätzen die Energie der Verbrecher, Ströbing, deswegen sitzen sie auch immer noch hier unten, sie trauen den Leuten nichts zu und deswegen trauen sie sich selbst auch nichts zu.

Ströbing: Danke für die Analyse, was bin ich ihnen schuldig?

Strunz:                 Das sie ihren Arsch hochbekommen und mal was erzählen! Ißt sie ordentlich, schläft sie, träumt sie, wie oft geht sie zur Toilette, weint sie, trinkt sie Wasser? Das sind Informationen, Ströbing, In-for-ma-tionen, wie siehts damit aus?

Ströbing: Gehen sie doch selber gucken. Ich werde hier fürs Wacheschieben bezahlt, nicht fürs Spionieren.

Strunz:                  Mann, sind sie langweilig. Dann muß ich wohl reingehen.

 

                 Strunz, Sara in der Zelle

 

Strunz:                  OK, Augen wach, Pupillen reagieren, Gesichtsfarbe etwas blaß, aber wenig eingefallen, fast rosig in Anbetracht der Umstände, Haltung gerade, gut, etwas stolz, insgesamt gepflegtes Erscheinungsbild, sauber, ordentlich gekleidet, Am Körper etwas schlaff, Arme etwas phlegmatisch, Hüfte etwas geschlossen, also wenig Tatendrang, auch Beine eher verschränkt, passives Grundmuster bei selbstbewußter Einstellung… Krank sehen sie eigentlich nicht aus, eher verbohrt in grundlosen Trotz, sie denken wohl, das sei eine heroische Haltung wenn man eingesperrt wird, das allerdings ist Hybris, ein Fall für den Psychiater, ja, psychologische Behandlung, Aufarbeitung der üblichen Traumata, ja, aber Unzurechnungsfähigkeit, nein.

Sie sehen, sie sind kein Geheimnis für mich. Ob sie reden oder es sein lassen, das spielt im Grunde keine Rolle. Aber die Leute werden sie besser mögen, wenn sie es tun. Haben sie darüber schonmal nachgedacht? Wenn sie nett zu den Leuten sind, sind die auch nett zu ihnen. Wer weiß, vielleicht glauben sie ihnen sogar, wenn sie ihre Unschuld beteuern. Wundern würds mich nicht, hübsch genug sind sie ja. Also was ist? Wollen wir es nochmal mit reden versuchen?

Also nicht. Na gut, mein Urteil steht. Wir sehen uns dann!

 

 

                 Strunz, Ströbing am Tisch

 

Strunz:                  Die kommt damit niemals durch. Das ist eine ganz raffinierte Verbrecherin!

Ströbing:                 Wenn sie so raffiniert ist, warum sitzt die dann da drin?

Strunz:                  Taktik, mein Lieber! Die hält was in der Hinterhand und wartet ab. Aber damit wird die nicht durchkommen. Da ist sie bei mir an den falschen gelandet.

Ströbing: Das glaube ich auch.

Strunz:                 Was?

Ströbing: Das sie mit ihnen an den falschen gelandet ist.

Strunz:                  Ja, vielen Dank.

Ströbing:                 Das war kein Kompliment.

Strunz:                  Und wenn schon, hab ich von ihnen auch garnicht nötig. Ciao! (Geht ab)

Ströbing: Arschloch!

Strunz: (wieder zurück): Das hab ich gehört. (Geht ab)

 

Ströbing (liest): “Er war ein wunderbarer Mensch. So impulsiv, so natürlich. Und so leidenschaftlich. ja, das vor allem. Wenn er etwas tat, dann tat er es ganz. Das Leben ist so kurz, hat er immer gesagt, man muß es sich verlängern. Wenn man alles voll genießt, sich ganz engagiert, kann man zwei Leben in der Zeit leben, in der andere Leute mit Mühe eines schaffen.”

(Sara lehnt an der Tür um zuzuhören.)

 

 

1.3.                 Paul, Sara in der Zelle

 

Paul:                 Mensch Sara, was machst Du für Dinger! Einfach nen Kerl so umzulegen! Das macht man doch nicht einfach so! Der muß Dich doch bedroht haben. Das muß doch Notwehr gewesen sein. Mensch, erzähl denen doch, wie es war. Das kann doch nicht so schwer sein. Irgendwie muß es doch gewesen sein! Du bist doch kein schlechter Mensch, ich kenne dich doch. Weißt Du, was Mutti sich für Sorgen macht wegen Dir. Sie würde ja gerne selber kommen, aber es geht nicht, du weißt ja, ihr Herz, und dann diese Umgebung… Ich soll Dir sagen, daß sie für Dich betet. Wenns hilft.

Wieso redest Du eigentlich nicht? Glaubst Du, daß Dir das hilft?

Ich sag Dir eins: Komisch sein hat noch niemanden genützt. Krieg dich wieder ein, und dann wird’s schon wieder. Naja, an das Gefängnis wirst Du dich wohl fürs erste gewöhnen müssen, das ist schon ein ziemlicher Hammer, einen abzustechen, aber wenns Notwehr war? Das war doch Notwehr, oder? Der wollte Dir an die Wäsche und dann lag da das Messer… besser geht’s doch nicht, das muß ja noch nicht mal so gewesen sein, um glaubwürdig zu wirken. Mensch, Sara, laß dich doch nicht hängen, mach doch was draus! Wenigstens Mutti zu Liebe! Du weißt doch, sie würde selber kommen, aber ihr Herz!

Weißt Du, ich geh dann mal wieder. ich weiß nicht, was ich hier soll. Warum redest Du bloß nicht?

 

                 Am Tisch. Paul, Ströbing, Ebert

 

Ströbing: Herr Mysczik, warten sie mal einen Moment, mein Kollege wollte ihnen noch ein paar Fragen stellen. - Ja, hier Ströbing, sagen sie Ebert, daß der Sztryszik da ist. - Warten sie, er ist gleich da.

Ist ihre Schwester eigentlich schon immer so schweigsam gewesen?

Paul:                  Ne, neulich war sie noch normal.

Ströbing: Und? Glauben sie, daß sie es war?

Paul:                  Ach, das steht noch garnicht fest? Ich dachte, da gibt’s keinen Zweifel dran.  So wurde mir das jedenfalls gesagt.

Ströbing:                 Zweifel kanns doch immer geben!

Es ist doch immer denkbar, daß es auch ganz anders gewesen sein könnte. Nehmen wir an, einer gesteht. Vielleicht gesteht er nur, um einen anderen zu schützen? Aus Liebe, oder aus Angst zum Beispiel.

Paul:                 Sie sind ja ein komischer Polizist!

 

Ebert:                 Guten Tag, Ebert mein Name, Herr Mysczik, ich würde ihnen gerne noch  einige Fragen stellen.

Paul:                  Bitte.

Ebert:                 Kannten sie den Herrn Maurer?

Paul:                  Wen?

Ebert:                  Ulf Maurer, das Opfer.

Paul:                  Stimmt es eigentlich, daß sie noch an der Schuld meiner Schwester  zweifeln?

Ebert:                  Ne, wieso? Wer sagt das?

Paul:                  Na, ihr Kollege machte da so Andeutungen, von wegen, es könnte ja  jemand anderes gewesen sein.

Ebert:                  Natürlich, rein theoretisch gibt es immer die Möglichkeit, daß sie es nicht war. Aber es gibt kein Indiz, daß in eine andere Richtung weißt. Oder haben sie etwas?

Paul:                 Nein.

Ebert:                  Und kannten sie Herrn Maurer nun?

Paul:                  Nein.

Ebert:                  Können sie uns etwas über das Verhältnis sagen, daß ihre Schwester mit  dem Opfer hatte?

Paul:                  Ich weiß nur eins, meine Schwester kam spät heim und manchmal garnicht. Aber ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, daß sie es war. Wenn sie schon selber Zweifel haben.

Ebert:                  Wir zweifeln ja gar nicht. Aber gibt es nicht irgendeine Begebenheit, irgendeinen Hinweis, der uns helfen könnte, den Tathergang zu verstehen? Hat sie nichts erzählt?

Paul:                  Die redet doch gar nicht! Wie soll sie was erzählen?

Ebert:                  Gut, dann will ich sie nicht länger aufhalten. Wenn ihnen etwas einfällt, das  ist meine Nummer. Rufen Sie mich an!

 

Paul geht los

 

Ebert:                  Was fällt ihnen ein, mit einem Angehörigen über den Fall zu plaudern! Ihm Mißtrauen einzuimpfen gegen unsere Arbeit! Haben sie hier nichts besseres zu tun? Lösen sie Kreuzworträtsel, Mann!

 

Ebert geht los.

 

Ströbing (liest): “Wenniger rührte in seinem Kaffee, als müsse er ein halbes Dutzend Zuckerstückchen auflösen. `Es ist zum Verzweifeln. ich kann keines der Indizien erschüttern, und die reichen leider aus, um meinen Mandanten zu verurteilen. Ich gehe nicht gern in einen aussichtslosen Prozess.´ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. `Natürlich ist er unschuldig! Haben sie schon jemals jemanden gesehen, der schuldig ist? Zumindest sind die Umstände schuld!´”

 

Er geht hinaus und macht das Licht aus.

 

 

1.4                 Sara, Kah, Ströbing

 

Sara, alleine, stellt pantomimisch den Mord nach.

 

Kah:                 Einen für die Schande, einen für die Wut, einen für den Schmerz, einen für die Lüge, einen für die Liebe, die zerbrach, einen für das Leben, das mit starb, und einen letzten, tödlichen Stich für das verlorene Gesicht.

Und - geht’s Dir jetzt besser?

Sara:                  Wer bist Du?

Kah:                  Das fragst Du? Ich bin doch Du! Oder eher: Die, die Du mal warst, denn  jetzt bin ich es nicht mehr. Ich habe niemanden getötet.

Sara:                  Doch, das habe ich getan.

Kah:                  Ja, das hast Du getan. Racheengel, Satan!

Sara:                  Bleibst Du bei mir? Bleibst Du bei mir?

                 Aber ich habe doch nur…

                 Das war doch nur weil…

Kah:                  Jetzt hast Du Angst, nicht wahr? Weil Du der Wahrheit nicht ins Auge gucken kannst. Du bist jetzt blind, denn nur ich weiß, was geschehen ist. Aber nicht ich habe ihn getötet. Das warst ganz alleine Du.

Sara:                  Er hatte es verdient.

Kah:                 Das ist Deine Theorie.

Sara:                 Warum soll er leben und ich nicht?

Kah:                  Du kannst doch leben.

Sara:                  Was ist das für ein Leben! Ich kann doch nicht so tun, als wäre nichts  passiert!

Kah:                  Das kannst Du allerdings nicht.

 

Ströbing: Frau Mysczik! Ist etwas? Kann ich ihnen helfen?

 

Sara (zu Kah): Ich kann nicht sprechen vor den Leuten. Es ist, als ob dann erst alles                  wahr werden würde.

Kah:                  Es ist alles wahr.

 

Ströbing: Ich kann Ihnen eine Schlaftablette geben, wenn Ihnen nicht wohl ist.

Sara winkt ab

 

Ströbing: Wissen Sie, meine Mutter hat früher immer gesagt, wenn man ganz am Boden ist, wenn man alles verloren hat, dann kann man eigentlich erst wieder aufstehen. Wer nie unten gewesen ist, könnte gar nicht wirklich leben. Das hat mir meine Mutti gesagt. Ich weiß, das ist jetzt vielleicht wenig Trost, aber dann weiß ich auch nicht, ob es überhaupt einen Trost geben kann für Sie, in ihrer Zelle, allein mit ihren Gedanken. Schlafen Sie?

Kah:                  Sie schläft jetzt für immer, nur ihr Körper läuft noch herum.

Ströbing: Wer ist da?

Kah:                  Nur Sara

Ströbing: Sara! Frau Mysczik! Reden Sie?

Kah:                  Kein Wort. Auch nicht zu Ihnen. Sehen Sie, sie schläft!

Ströbing: Ja, Sie schläft. Mit wem habe ich dann geredet?

1.5                 Ebert, Sara, Ströbing

 

Ebert:                  Nachtverhör! Los! Los! Los! Los! Aufstehen! Genug geschlafen! Rrrraus aus den Federn! Schluß mit der Trrräumerei! Setzen Sie sich! Geben Sie zu, den Ulf Maurer getötet zu haben?

Geben Sie es zu? Wir wissen daß Sie es waren, also reden Sie! Woher hatten Sie das Messer? Reden Sie! Sie sind sich wohl zu gut dafür, mit uns zu reden! Haben Sie denn kein Schamgefühl? Keine Ehre? Bringen jemanden kaltblütig um und machen hinterher noch einen auf Diva! Wissen Sie, was wir früher mit jemanden wie Dir getan hätten? Machen wir nicht mehr! Aber verlaß Dich nicht drauf. Da gibt es Leute, für die bist Du jetzt Freiwild, wenn Du verstehst, was ich meine. Also, rede lieber, sonst könnte es schon sein, daß mein guter Freund Ströbing einmal die Schlüssel vertauscht.

Ströbing: Laß Sie in Ruhe, die ist schon durcheinander genug.

Ebert:                  Misch Du Dich da nicht ein!

Ströbing: Auf die Weise bringste die nicht zum reden!

Ebert:                  Dann versuch Du halt Dein Glück. Ich frag Dich nachher. Dann ist  Konferenz mit allen!

 

 

1.6                  Kah, Sara

 

Kah:                  Weißt Du, Du mußt ja garnicht reden. Was könntest Du schon erzählen?

Wie Du das Messer gegriffen hast? Wie Du es in seinen Rücken gerammt hast? Wie er Dich angeguckt hat, voll Unverständnis, unfähig zu reagieren, und wie Du nochmal zugestochen hast und nochmal, bis er am Boden lag und nichts mehr an ihm sich regte? Das mußt Du doch nicht erzählen. Niemanden! Das ist in mir versiegelt, und ich gehöre nicht mehr zu Dir.

Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Du das getan hast.

Sara:                  Das weißt Du genau!

Kah:                  Ich möchte es von Dir hören!

Sara:                  Ich sage dazu nichts

Kah:                 Dann war es nichts als Mordlust!

 

 

1.7                 Ebert, Florres, Ströbing, Strunz

 

Ebert:                  Die redet da drinnen doch mit jemanden!

Ströbing: Das sind Selbstgespräche!

Ebert:                  Und das erwähnst Du jetzt! Wir könnten schon alles wissen! Hast Du  wenigstens zugehört?

Ströbing: Man versteht nichts, nur gebrabbel.

Ebert:                  Das müssen wir aufnehmen!

Florres:                  Dagegen verwahre ich mich! Keine Abhöraktionen im Intimbereich, das  sollten Sie wissen!

Ebert:                  Das ist ein Ausnahmefall! Wir haben ja sonst nichts.

Florres:                  Dann schlage ich vor, sie lassen meine Mandantin frei!

Ebert:                  Sie ist schuldig:

Florres:                  Diese Feststellung müssen Sie erst einem Gericht überlassen. Sie haben  nichts als ihre Anwesenheit am Tatort

Ebert:                  Und die Tatwaffe

Florres:                 Und die Tatwaffe, stimmt

Ebert:                  Mit ihren Fingerabdrücken drauf.

Florres:                  Ja und, was beweist das? Das Sie die Waffe in der Hand gehabt hat, mehr  nicht! Sie entdeckte das Opfer und nahm im Schock die Waffe in die Hand.

Ebert:                  Das glauben Sie doch selbst nicht.

Florres:                  Und ob ich das glaube.

Ebert:                  Die Forensik geht von einer wenig kräftigen Person aus, kleiner als das  Opfer, wie Sara.

Florres:                  Und, haben Sie auch Beweise?

Ebert:                  Nein, nur die Täterin, nicht wahr, Frau Strunz?

Strunz:                  Sara Mysczik leidet an einer akuten nervösen Schizophrenie, ausgelöst durch einen Schock. Sie ist zur Zeit nicht in der Lage auf Ihre Umwelt zu reagieren, geschweige denn angemessen zu reagieren. Ein solches Trauma ist in der Regel auf ein Schuldgefühl zurückzuführen.

Ebert:                  Da sehen Sie, sie ist schuldig!

Strunz:                  Nein, sie fühlt sich schuldig, das ist etwas ganz anderes. Wenn sie schuldig wäre, würde sie sich nicht schuldig fühlen, sondern die Verantwortung für ihre Tat nach außen zu legen versuchen, sie würde ihre Schuld verdrängen. Sie fühlt sich schuldig, vermutlich weil Sie den Mord nicht verhindern konnte, vielleicht hatte sie die Chance dazu gehabt oder bildet sich das zumindest ein. Nein, diese Frau ist unschuldig.

Ebert:                  Und das schließen Sie aus ihren Schuldgefühlen?

Strunz :                  Ja.

Ebert:                  Ihr spinnt doch, ihr Psychos!

Strunz:                  Vielen Dank!

Ebert:                  Das war nicht als Kompliment gemeint!

Strunz:                  Das habe ich von Ihnen auch gar nicht nötig.

Florres:                  Ich denke, Sie haben damit keinen Grund mehr, meine Mandantin hier noch  länger festzuhalten.

Ebert:                  Ich habe immer noch meine Indizien, und das reicht bei einem  Kapitalverbrechen!

Ströbing:                  Wissen Sie, Ebert, da mache ich nicht mit. Wir können hier nicht dies Mädchen festhalten, nur weil wir einen Erfolg brauchen für unsere Gehaltszulage. Ich habe auch meine Ehre, und sie zu verurteilen, bloß weil Sie nichts sagt, das finde ich ist ein bißchen weit hergeholt.

Ebert:                  Ja seid Ihr denn alle verrückt? Wer soll es denn sonst gewesen sein? Es  kann nur Sie gewesen sein, geht das in Euren Schädel rein?

Florres:                  Herr Ebert, wenn Sie meine Mandantin nicht freilassen, sehe ich mich gezwungen, eine Dienstbeschwerde gegen Sie einzuleiten. Dem Protokoll entnehme ich außerdem Nachtverhöre, die bei labilen Verdächtigen auch garnicht zulässig sind. Ich denke, wir verständigen uns lieber so.

Ebert:                  Die ist doch garnicht labil. Frau Strunz, sie hatten selbst gesagt, das wäre  eine durchtriebene Verbrecherin, die nur simuliert.

Strunz:                  Das war der erste Eindruck, ja, der sich im Verlauf der Untersuchung  jedoch nicht erhärtet hat.

 

1.8                 Kah, Sara, Ströbing

 

Kah:                 Gut geschwiegen, Sarah. Keine Worte, keine Fehler! Die verzweifeln an ihren Zweifeln und zweifeln solange, bis sie das Gegenteil von dem glauben, was ihnen ihr gesunder Instinkt sagt. Das ist die Macht der Gedanken. Du bist eine raffinierte Verbrecherin, raffinierter als die sich überhaupt vorstellen können. Paß mal auf, morgen bist du hier raus.

Sara:                  Ich will hier garnicht raus.

Kah:                  Sara, nun hab dich nicht so, alles läuft gut, alles läuft nach Plan. Den Maurer bist du los, das war es doch, was Du wolltest, Du bist bald frei, und dann könnt ihr wieder in Ruhe leben, du und deine Familie.

Sara:                 Ich wußte nicht, daß das so schwierig ist.

Kah:                  Warum hast du ihn noch gleich umgebracht?

Sara:                 Das weißt du genau!

Kah:                  Ich will es von Dir hören!

Sara:                  Ich wollte ihn umbringen! Er hat meinen Vater getötet.

Kah:                 Rache, genau. Als wenn damit sich was wieder gutmachen ließe…

Sara:                  Nichts wird wieder gut. Aber ich mußte es tun.

Kah:                  Ich weiß. Nicht für ihn. Für dich.

 

Kah:                  Ströbing, wachen sie auf!

Ströbing:                 Wie? Was? Wer ist da?

Kah:                  Sara hat ein Geständnis abgelegt.

Ströbing:                 So, hat sie das?

Kah:                  Sie müssen es ihr nur noch entlocken.

Ströbing: Ja, Sara das Geständnis entlocken. Wer ist da?

Kah:                  Ich bin nichts und niemand. Ich bin nur die Wahrheit.

Ströbing:                 Was für ein Traum.

 

1.9                 Strunz, Ebert, Florres, Ströbing, Sara, Kah

 

Ebert:                  Stehen sie auf, Frau Mysczik, sie können gehen.

Florres:                  Kommen Sie, sie sind frei. Die Indizien gegen sie reichen nicht aus, sie weiter hier festzuhalten.

Ebert:                  Was ist, wollen sie nicht raus? Wollen sie ein Geständnis ablegen?

Florres:                  Herr Ebert, hören Sie auf, meine Mandantin zu beeinflussen.

Strunz:                 Frau Mysczik, ich warne sie, wenn sie sich weigern zu gehen, könnte ich es mir überlegen und sie doch noch als unzurechnungsfähig einstufen. Dann geht’s ab zu den Psychos.

Ebert:                  Na, da gehört sie auch hin!

Florres:                  Ein Wort noch und ich beschwer mich über sie! Sie wissen, was das heißen kann!

Ebert:                  Ist ja schon gut.

Ströbing: Ihr macht einen Fehler. Die Frau ist schuldig!

Ebert:                  Das ist jetzt zu spät, Ströbing! Wir lassen sie frei.

 

Kah: Und so geht sie geht sie dahin / in eine Freiheit, die sie nicht will / sie hat sie ja schon begraben / sie will nichts vom Leben haben / ihre Rache war ja ihr Sinn

2. Bild                 Die Praxis von Frau Strunz

                  

2.1                 Paul, Sara Mysczik, Strunz,

 

Strunz:                  Herr Mysczik, Sara, was führt sie zu mir? Kommen sie doch erstmal rein.

Paul:                 Guten Tag, Frau Strunz, vielleicht haben Sie einen Augenblick Zeit für  uns?

Strunz:                  Ja, sicher doch, setzen Sie sich.

                 Was gibt’s, wo drückt der Schuh.

Paul:                  Ich komme wegen Sarah.

Strunz:                  Ja, das habe ich mir gedacht

Paul:                  Sie redet immer noch nicht. Seit Wochen geht das jetzt so, kein Danke, kein Bitte, kein Blick, kein gar nichts. So kann man doch nicht miteinander leben, Strunz:  Möchten sie von mir eine Einweisung für sie erwirken?

Paul:                 Naja, ich dachte eher daran, gibt es nicht eine Möglichkeit, ihr zu helfen? Vielleicht eine psychologische Behandlung, sie sind doch Arzt, was kann man denn da machen?

Strunz:                  Oh, man kann viel machen, vorausgesetzt, sie ist bereit dazu. Sie kann nur aus freier Entscheidung zum Arzt gehen, es sei denn, wie gesagt, ich weise sie ein, dafür müßte dann aber schon eine Gefährdung in der ein oder anderen Art vorliegen, daß sie jemanden mit dem Messer bedroht zum Beispiel oder das Essen verweigert und verhungert. Ansonsten müssen sie sie halt nehmen wie sie ist. Oder wollen sie in Behandlung, Frau Mysczik?

Sehen Sie, wenn sie nicht ja sagt, ist das wie nein.

Paul:                  Aber ich kann sie doch nicht so sich selbst überlassen! Ein Mensch braucht doch auch eine Freude im Leben, das reicht doch nicht, wenn einer immer nur so vor sich hin vegetiert.

Strunz:                  Ja, ganz meine Meinung, wo wären wir ohne die Freude! Aber Herr Mysczik, bedenken sie auch: Wo wären wir ohne die Freiheit? Und eines gehört doch zum anderen, nicht wahr?

Paul:                  Das mag ja sein, das hilft mir aber nix, und ihr auch nicht. Ist sie es jetzt eigentlich gewesen oder nicht? Ich meine, erst gibt es keinen Zweifel an ihrer Schuld und auf einmal ist sie frei, weil die indizien nicht ausreichend sind, ich weiß garnicht, was ich glauben soll.

Strunz:                  Das Glauben, daß überlassen sie man besser den Theologen, die haben das studiert. Was unsereins betrifft, wir wissen es nicht: Sehen sie sich ihre Schwester an: Sie ist traumatisiert, gut. Aber, weil sie es getan hat, oder war sie doch nur Zeuge? Wie sollen wir das wissen? Sie redet nicht, also kann sie sich nicht verraten.

Paul:                  Sie führt Selbstgespräche.

Strunz:                  Das ist interessant.

Paul:                  Finde ich nicht. Ich verstehe sie nicht. Es klingt, als ob sie Antworten gibt an jemanden, der nicht da ist. Aber wenn ich sie was frage, antwortet sie nichts.

Strunz:                  Herr Mysczik, machen sie sich nicht zu viele Sorgen. Ihre Schwester macht eine schwere Phase durch, stehen sie ihr bei, aber denken sie auch an sich selber. Niemanden ist geholfen, wenn auch sie noch ihre Lebensfreude verlieren.

So, jetzt muß ich sie aber bitten, ich habe noch Termine.

 

Pavel und Sara verlassen die Praxis. Kah kommt herein.

 

2.2.                 Strunz, Kah

 

 

Kah:                  So einfach geht das. “Machen sie sich keine Sorgen, Herr Mysczik, ihre Schwester ist nunmal verrückt, gewöhnen Sie sich lieber da dran!”

Strunz:                  Wer da?

Kah:                  Ich bin die Wahrheit. Du kannst mich nicht sehen, du kannst mich nicht riechen, du kanns mich nicht fühlen. Ich bin nicht mehr als ein Gedanke in deinem Kopf.

Strunz:                  Die Wahrheit? Ich brauch wohl mal Urlaub.

Kah:                  Falsch, ganz falsch, meine liebe Strunz. Du mußt erstmal arbeiten, bevor du Urlaub machen kannst. Du mußt einmal Deinen Job ernst nehmen und jemandem helfen. Sonst gehst du in die nächste Katastrophe!

Strunz:                 So ein verrückter Gedanke!

Der nächste bitte!

 

2.3.                 Strunz, Ströbing

 

Strunz:                  Herr Ströbing, das ist ja heute das reinste Familientreffen, so ein Zufall, was führt sie zu mir?

Ströbing:                  Frau Strunz, guten Tag.

Strunz:                  Setzen sie sich. Was gibt’s?

Ströbing: Ich höre Stimmen. Das geht seit einigen Wochen so. Das ist so, als wenn ich träume, dabei bin ich aber wach, kennen sie das?

Strunz:                  Herr Ströbing, wenn ich das kennen würde, könnte ich meinen Job als Psychiater nicht ausüben. Meine geistige Gesundheit ist Grundvoraussetzung. (er hustet)

Ströbing:                  Na, wie dem auch sei, was soll ich denn jetzt tun mit diesen Stimmen?

Strunz:                   Wann hat das denn angefangen?

Ströbing:                  Naja, als diese Sara Mysczik bei mir in der Zelle saß, da war das ja so, daß sie nicht redete, und irgendwann habe ich mir dann eingebildet, daß sie mit mir redet, und das hat seitdem nicht aufgehört.

Strunz:                  Was sagt sie ihnen denn so?

Ströbing:                  Das sie diesen Maurer getötet hat und zurück will ins Gefängnis, denn wenn sie keine Strafe kriegt wird das Verbrechen nicht gesühnt und dann passiert etwas andres schlimmes. Eine Katastrophe sagt sie immer.

Strunz:                  Und nochwas?

Ströbing:                  Ja, das sie die Wahrheit sei.

Strunz schluckt, ist um Fassung bemüht

Ströbing:                  Ist ihnen nicht wohl?

Strunz:                  Doch, doch, mir war nur gerade etwas schwindlig, hatte einen anstrengenden Tag.

Ströbing:                  Dann will ich sie nicht weiter belästigen. Nicht, daß sie dann ihren Job nicht mehr ausüben können…

Strunz:                  Doch, doch, bleiben sie! Erzählen Sie mir von ihrer Stimme!

Ströbing:                  Ein anderes Mal. Es ist, als würde sie hier zuhören, verstehen sie?

Strunz:                  Was wollen sie denn tun?

Ströbing:                 Nichts. Was sollte ich denn tun? Auf Wiedersehen (geht raus)

2.4.                 Strunz, Kah

 

Kah:                 Da hast Du es. Du kannst nicht davor weglaufen.

Strunz:                  Ich will doch garnicht weglaufen.

Kah:                  Oh doch, natürlich läufst du weg. Ich bin die Wahrheit, und von mir willst du nichts wissen!

Strunz:                  Ich will alles wissen! Erzähl mir alles!

Kah:                  Nein, die Wahrheit läßt sich nicht bitten, sie kommt nicht, wenn Du nach ihr fragst. Du hattest Deine Chance gehabt. Nun sieh zu, was Du daraus machst. (geht raus)

Strunz:                 Was soll ich machen? Woraus soll ich etwas machen? Bleib hier!

 

 

 

 

3. Bild                 Praxis von Rechtsanwalt Florres

                 Florres, Ebert

 

Florres:                  Meine liebe Frau Ebert. Es ist schön, Sie zu sehen. Was führt sie zu mir?

Ebert:                  Sparen sie sich ihre Schmeicheleien. An mir gibt’s nichts zu verdienen, ich bin dienstlich hier.

Florres:                  Das macht doch nichts, wer wird denn immer gleich auf den Mammon schielen. Verdient wird genug, heutzutage.

Ebert:                  Das ist ja schön für sie. Ich mußte letztens auf meine Zulage verzichten.

Florres:                  Wieso? Fehlt ihnen der Erfolg?

Ebert:                  Allerdings! Vor allem, weil wir diese Sara Mysczik laufen lassen mußten. Fünf Wochen Einzelbewachung und kein Ergebnis. Der Chef ist sauer.

Florres:                  Nun, des einen Leid ist des andern Freud. Aber sie sind sicher nicht hier, um mir ihr Leid zu klagen. Was gibt’s?

Ebert:                  Diese Mysczik ist schuldig. Ich weiß das.

Florres:                  Ach kommen Sie! Lassen Sie die Geschichte ruhen. Sie können ihr nichts beweisen, also was wollen Sie?

Ebert:                  Sie tun auch ihr keinen Gefallen damit. Es war nicht die Absicht ihrer Mandantin, sich ihrer Strafe zu entziehen.

Florres:                  So? Haben sie mit ihr geredet?

Ebert:                  Ich habe recherchiert. Es gibt ein Motiv.

Florres:                  Na, das kann ich mir vorstellen. Ein hübsches Mädchen und ein älterer Mann. Da braucht man nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was passiert sein könnte. Es ist aber gut, wenn man das nicht vor Gericht bis in die peinlichen Details ausbreiten muß, glauben sie mir.

Ebert:                  Na, wenigstens weiß ich jetzt über ihre Phantasien Bescheid. Aber das Motiv ist ein Anderes. Ulf Maurer ist der Vater von Paul Mysczik.

Florres:                  Das ist interessant.

Ebert:                  Saras Mutter hatte ihn verlassen, als sie Pjotr Mysczik kennenlernte, den Vater von Sara. Paul war da noch nichtmal geboren.

Florres:                  Ach, die Liebe. Wenn auf eins Verlaß ist, dann auf die Treulosigkeit der Frauen!

Ebert:                  Nun werden sie nicht sentimental. Pjotr Mysczik starb, als Sara vier Jahre alt war.

Florres:                  Nun, Schicksale eben.

Ebert:                  Er wurde damals erstochen. Mit sieben Messerstichen in den Rücken. Am Siebten Siebten 1993. Der Täter wurde nie gefunden. Man hielt es für einen Raubmord.

Florres:                  Und nun wollen Sie meiner Mandantin einen Rachemord in die Schuhe schieben.

Ebert:                  Natürlich! Das ist doch wohl ganz eindeutig!

Florres:                 Woher sollte sie denn wissen, daß das damals der Maurer war?

Ebert:                  Vielleicht wußte sie es ja garnicht, sondern vermutete nur und das hat ihr gereicht!

Florres:                  Sie stützen sich also immer noch auf Vermutungen. Vielleicht hat der Täter sich genau damit entlasten wollen, indem er den Verdacht auf Sara lenkt.

Ebert:                  Das glauben Sie doch selber nicht!

Florres:                  Doch, das glaube ich. An der Unschuld meiner Mandantin gibt es keinen begründeten Zweifel.

Ebert:                  Warum wollte sie nicht aus der Zelle, als man sie freiließ?

Florres:                  Das war ihr Mißtrauen gegen polizeiliche Maßnahmen. Sie hatten sie ja nicht gerade mit Fingerspitzen angefaßt!

Ebert:                  Ich wäre nicht zu ihnen gekommen, wenn ich nicht die Hoffnung gehabt hätte, ihnen mit Vernunft zu begegnen. Wenn sie einen Mandanten freihauen, der die Freiheit will, dann ist das ein schöner Erfolg für sie, auch wenn der Mann vielleicht schuldig war. Aber Sara Mysczik hat kein Interesse daran, frei zu sein. Sie will ihre Strafe. Sie will einen Schlußpunkt setzen, das was geschehen ist, soll gesühnt werden, verstehen sie das nicht? Erwirken sie ihr eine milde Strafe, das wäre ein aufrechtes Anwaltswerk.

Florres:                  Dann soll sie reden und gestehen. Ich habe auch einen Ruf zu verlieren, und wenn ich eine Mandantin ans Gefängnis verliere, obwohl gegen sie nur Indizien standen, dann schwindet mein Marktwert. Das ist nun mal so. Sie können ja weiter recherchieren, wen sie glauben, damit Erfolg zu haben.

Ebert:                  Erfolg ist nicht alles. Manchmal muß man einfach alles versuchen, auch wenn es keinen Erfolg gibt. Guten Tag.

Florres:                  Auf Wiedersehen, sie Weltverbesserer.

 

 

 

 

4. Bild                 Kah, Sara im “irgendwo”

 

Kah:                  Sara, deine Sterne schwinden. Die Wahrheit kommt ans Licht und du wirst deine verdiente Strafe kriegen.

Sara:                  Ich bin bereit dazu.

Kah:                  Bereit dazu, Abschied von der Sonne zu nehmen, Abschied von den Bäumen, Abschied von der Freiheit und der Freude.

Sara:                  Das habe ich schon lange getan. Ich warte nur auf mein Urteil, das ich dankbar annehmen werde.

Kah:                  So? Und wenn sie dich freilassen? Wenn sie dir den Tag schenken und das Licht? Was willst du dann tun? Dich weiter verkriechen?

Sara:                  Dann werde ich das Unheil nicht aufhalten können, daß durch mich in die Welt kam.

Kah:                  Also wirst du gestehen.

Sara:                  Wie soll ich einen Mord gestehen? Wer versteht von denen denn, was in einem vorgeht, der einen umbringt! Die haben doch alle keine Ahnung! Ich habe das doch nicht freiwillig getan, ich habe das getan, weil ich das tun mußte, und darum kann ich auch nicht freiwillig davon sprechen. ich schweige, weil was ich sagen kann, das kann nur falsch sein. Mörderworte. Lügen. Halbwahrheiten. Die Wahrheit, dafür gibt es doch gar keine Worte.

Kah:                  Du redest mir von der Wahrheit? Ich bin deine Wahrheit, vergiß das nicht.

Sarah:                  Du bist mein Schatten. Du bist nicht ich. Ich habe mich längst verloren.

Kah:                  Nein, denn ich bin auch noch bei Dir. Verloren hast Du mich noch nicht.

Sara:                  Was soll ich denn tun? Ich kann doch nichts ungeschehen machen?

Kah:                  Du kannst zu dem stehen, was du getan hast. Du kannst gestehen, und deine Strafe entgegennehmen.

Sara:                  Das kann ich nicht.

Kah:                  Dann kann ich nicht bei dir bleiben.

Sara:                  Ich gehe zu Ströbing, der wird mich verstehen.

 

 

 

 

5. Bild                  Ströbings Wohnzimmer

                 Sara, Ströbing, Kah

                  

Ströbing: Sie sind es! Wie haben sie denn zu mir gefunden?

Reden sie immer noch nicht?

Na egal, kommen sie einmal rein.

Kah:                  Hübsche Wohnung. Die Wohnung eines ehrlichen Mannes. Bescheiden,  einfach, armselig. Solch Seligkeit ist den meisten verschlossen.

Ströbing: Setzen sie sich doch. Möchten sie was trinken. Kaffee? Tee? Cognak?

Kah:                  Cognak, ja, das wärs. Vielleicht hilft der ihr die Zunge zu lösen.

Ströbing: Haben sie Cognak gesagt? Wissen Sie, daß ist ganz komisch, sie reden nicht, und dann bilde ich mir dauernd ein, ich höre etwas. Das ist, als wenn sie mit mir reden, ohne den Mund zu bewegen. Ich war schon beim Arzt deshalb, weil ich dachte, das sei nicht normal, wenn man Stimmen hört, aber dem gings genauso, da bin ich schnell gegangen. Ich gehe doch nicht zu einem Psychiater, der nicht richtig tickt!

Kah:                  Das ist richtig. Man braucht doch nicht zu einem Psychiater zu gehen, bloß  weil man Stimmen hört, die es doch gibt.

Ströbing:                  Da! Schon wieder! Haben sie was gesagt? Ich hab sie doch gehört! Aber ich habe nicht gesehen, daß sie ihren Mund bewegt hätten. Und gehört habe ich auch nicht mit meinen Ohren, mehr wie… direkt mit meinen Gedanken, als hätte mein Gehirn noch mal eigene Ohren.

Kah:                 Das ist ja eine kluge Beschreibung. Gut beobachtet, mein Lieber!

Ströbing: Naja, ich werds so nehmen wie es ist. Stoßen wir an. Ich weiß nicht, vielleicht ist das falsch das zu sagen, aber ich fand, sie waren wirklich eine angenehme Gefangene, nicht, weil sie nichts gesagt hatten, das ist schon merkwürdig, aber ich fand, wir hatten uns dann doch gut verstanden, so wortlos eben, und es ist fast schade, daß sie nicht länger geblieben sind.

Sara:                  Ja, das ist schade.

Ströbing:                 Das haben sie nun aber gesagt, nicht wahr? ich habe das diesmal richtig gehört, mit meinen richtigen Ohren, den Ohren Ohren, nicht den Gehirn Ohren. Das ist schade, nicht wahr. Aber warum finden sie das? Warum wollten sie denn in der Zelle bleiben?

Sara:                  Weil ich dahin gehöre.

Ströbing: Dann warst du es doch! Du hast den Maurer umgebracht!

Sara:                  Ja.

Ströbing: Aber warum erzählst du mir das?

Sara:                  Ich will in die Zelle zurück, versteh das doch! Es gibt für mich keine  Freiheit mehr.

Ströbing:                 Dann mußt du den Mord gestehen.

Sara:                  Das habe ich doch gerade.

Ströbing: Das nützt nichts. Dies ist kein Verhör. Du mußt bei der Polizei gestehen.

Sara:                  Sie sind doch Polizist.

Ströbing: Aber ich bin nicht im Dienst.

Sara:                  Helfen sie mir! Ich kann nicht bei der Polizei reden!

Ströbing:                 Warum nicht?

Sara:                  Weil die es nicht verstehen würden.

Ströbing: Was gibt es denn da zu verstehen. Sie haben jemanden umgebracht. Sie werden ihre Gründe gehabt haben, die sie natürlich nicht entschuldigen, aber so ist das doch, Gründe gibt’s immer, nur was man dann tut, das ist eine ganz andere Sache. Stehen sie dazu! gestehen Sie! Dass wird ihnen gut tun.

Kah:                   Das habe ich ihr ja auch gesagt, aber das nützt nichts. Sie sieht sich ja selber als Opfer, weil der Maurer ihr den Vater umgebracht hat, da war sie vier. Das konnte sie nicht verzeihen, wie denn auch! Und nun ist das eine passiert wie das andere. Und du sollst ihr helfen, sie zu überführen, denn alleine schafft sie es nicht.

Ströbing:                  Das kann ich nicht. Ich kann doch jetzt nicht zum Ebert gehen und sagen, die Sara war bei mir uns hat gestanden. dann sagt der: Schön, und wo ist der Beweis. Dann geh ich mit ihr zu ihm und sie sagt wieder nichts! Auf diese Weise wird das nichts mit einer Verurteilung. Ebert beißt sich an dem Fall die Zähne aus, er will ihr unbedingt etwas nachweisen, abeer er hat nur Indizien, das reicht nicht, und der Florres ist gewieft, der will Sara unbedingt raushaben, also, ohne offizielles Geständnis wird das nichts.

Sara:                  Dann wird daraus nichts!

Kah:                  Lesen sie ihr doch noch einmal vor, aus dem Buch. Das mochte sie doch so  gerne!

Ströbing (liest): “Wir werden ihnen nichts tun. Im Gegenteil. Wir sind nur um ihr Wohl besorgt. Wir tun das alles nur, um sie vor Ungelegenheiten zu bewahren. Als Gegenleistung erwarte ich, daß auch Sie sich in Zukunft ein wenig mehr Sorge um Ihr kostbares Leben machen. Wäre doch schade um sie - ein Mann in den besten Jahren und so begabt.” Seine Stimme wurde leise und bestimmt. “Lassen sie ihre dreckigen Pfoten von der Geschichte. Das ist eine sehr ernste Warnung! Wir können auch anders! Sie haben nichts gegen uns in der Hand, reineweg nichts. Für den Sonntag damals haben wir beide ein einwandfreies Alibi. Und für heute auch. Wir haben sie nie gesehen. Wir waren heute überhaupt nicht in Frankfurt. Dafür gibt es Zeugen. Na, was sagen sie jetzt?” Lobenstein sah ihn nur an.

 

6. Bild                  Polizeirevier (wie in 1)

                 Ströbing, Ebert. Kah

                  

Ebert:                  Sieh mal, was ich gefunden habe.

Ströbing: Was gibt’s denn?

Ebert:                  Hier, ein Gedicht von dem Maurer!

Ströbing: Der Fall läßt Dich nicht los, wie?

Ebert:                  Maurer hat Gedichte geschrieben, jede Menge.

Ströbing: Ich weiß, sag nicht, du hast dich durch seine Papiere durchgelesen.

Ebert:                  Und guck mal, was ich gefunden habe.

Ströbing: Na, was denn?

Ebert:                  Ein Gedicht.

Ströbing: Ach!

Ebert:                  Ich lese mal vor:

                  

                 Einen für die Schande,

                 einen für die Wut,

                 einen für den Schmerz,

                 einen für die Lüge,

                 einen für die Liebe, die zerbrach,

                 einen für das Leben, das mit starb,

                 und einen letzten, tödlichen Stich

                 für das verlorene Gesicht.

 

Ströbing: Ist das gut? Ich kenne mich nicht aus mit Gedichten.

Ebert:                  Das ist ein Geständnis. Das Gedicht heißt Pjotr.

Ströbing: Was hilfts? Damit hast Du nur bewiesen, daß der Maurer ihren Vater umgebracht hat. Jetzt müßtest Du aber noch beweisen, daß sie es auch war, die den Maurer umgebracht hast.

Ebert:                  Ich denke, du glaubst auch, daß sie es war?

Ströbing: Überlaß das glauben mal den Theologen, die haben das gelernt.

Ebert:                  Und Du? Überläßt Du kampflos dem Florres den Sieg? Wieso hilfst Du mir  nicht?

Ströbing:                  Du findest die Wahrheit nicht, indem Du sie suchst. Aber halt nur Deine Ohren auf, Deine inneren ohren, dann wird sie dich eines Tages finden. Du darfst dann nur nicht glauben, du wärest verrückt.

Ebert:                  Was quatscht du da für ein Zeug. Wohin gehst Du?

Ströbing:                 Ich glaube, ich habe noch eine Kranke bei mir zu Hause. Ich muß mich um  sie kümmern. Bis morgen!                         er geht raus

 

Kah:                  Und alles, was Du am Ende weißt ist, daß Du eine ganze Menge Arbeit hattest, und keinen, der sich bedankt und keinen, der Dich auch nur versteht. So gibst Du den Sieg den gedankenlosen Mitläufern freiwillig in die Hand, die freuen sich, sich damit schmücken zu können und machen ihr Geld damit. Und dir bleibt nur die stille Ehre, alles getan zu haben, was in deiner Macht stand. Aber du hast keine Macht. Vergiß das nicht.

 

 

7. Bild                 Paul und Sara im “irgendwo”. Kah

 

Paul:                  Hallo Sara.

Sara:                  Hallo Paul.

Paul:                  Du sprichst ja wieder.

Sara:                  Ja. Es muß je weitergehen.

Paul:                  Weißt du, welcher Tag heute ist?

Sara:                  Wieso? Was soll heute für ein Tag sein?

Paul:                  Heute ist der siebte siebte.

Sara:                  Das ist aber ein schönes Datum.

Paul:                  An diesem Tag hast Du meinen Vater umgebracht.

Sara:                  Ja, das habe ich getan.

Paul:                  Und heute werde ich dich töten.

Sara:                  Tu das nicht, das bringt nichts. Ich habe es versucht.

Paul:                  Ich muß es tun.

Sara:                  Ich weiß.

Paul:                  Einmal muß es ja aufhören.

Sara:                  Es hört nie auf.

Paul:                  Es geht nicht anders.

Sara:                  Ich weiß.

Paul:                  Einen für die Schande,

einen für die Wut,

einen für den Schmerz,

einen für die Lüge,

einen für die Liebe, die zerbrach,

einen für das Leben, das mit starb,

und einen letzten, tödlichen Stich

für das verlorene Gesicht.

                 Strunz, Florres, Ebert, Ströbing auf

Ebert:                  Glauben sie, daß er es war, Ströbing?

Ströbing:                 Sieht ganz danach aus.

Florres:                  Sie haben nichts gegen ihn in der Hand.

Ebert.                  Nur die Mordwaffe, Fingerabdrücke und ein Motiv.

Florres:                  Das reicht nicht aus. Ich hau ihn da raus.

Ebert:                  Nein, diesmal nicht.

Strunz:                  Das sieht man doch auf den ersten Blick, daß dieser Jüngling da nicht in der Lage ist, jemanden umzubringen. Schon rein körperlich nicht. Sehen Sie, wie er dasitzt. So sieht jemand aus, der geschockt ist. Der Junge braucht eine psychiatrische Behandlung, um sich von dem Schmerz zu befreien.

Ströbing:                  Dann wird das nicht aufhören. Er hat mir meine Geliebte genommen. Eines Tages werde ich mich rächen!

 

Kah:                  So ist es mit der Wahrheit. Obwohl sie offen daliegt, kommt sie nie ans Licht. Obwohl jeder sie kennt und alle um sie wissen, muß sie ein Schattendasein fristen, ungeliebt, verstoßen, vergessen. Also kommt sie nachts heraus, mit einem Messer in der Hand, und nimmt sich den Platz, den sie braucht. Paß auf, eines Tages fordert sie auch Dich heraus, und nur, wenn Du ihr ins Auge sehen kannst, läßt sie Dich in Ruhe. Schlaft gut! Eines Tages werdet ihr erwachen!              Ende

 

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