Die Wahrheit über Neun Elf

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                                Die Wahrheit über Elf Neun

 

                                        Theaterstück von Andreas Cotterell

 

 

Warnung: Dieses Stück beinhaltet eine Verschwörungstheorie. Es ist nicht meine Absicht, Tatsachen zu behaupten oder zu widerlegen, es geht vielmehr um eine Theorie der Abweichung vom Normverhalten. Verschwörungstheorien sind, nachdem ich dieses Stück geschrieben habe, wesentlich populärer geworden, die Argumente pro und contra sind in Internetforen lang und breit ausgeführt. Dies ist kein Beitrag dazu. Dies ist ein Beitrag zu der Macht, die davon ausgeht, ungenehmes Verhalten mit psychologischen Deutungen bestrafen zu können, es ist also ein Psychologiedrama und geht dabei von seiner eigenen Verschwörungstheorie aus: Die Psychiatrie als System zur Unschädlichmachung von Querdenkern. Spannend daran ist wiederum nicht die Behauptung, daß es tatsächlich so sein könnte, sondern die Angst davor, die ausreicht die "Schere im Kopf" anzuwerfen. So ist dieses Stück ein Plädoyer für den Mut zum eigenen Gedanken.

 

 

 

 

Personen:                       Franz Kah, Irrer

                                        Regina Lapel, Zeitungsjournalistin

                                        Victor, Verfassungsschutzagent

                                        Schwester Anne, Krankenschwester

                                         

 

1. Bild. Frau Lapel und der V-Mann sitzen unter den Zuschauern. Kah kommt rein, wie zur Begrüßung der Zuschauer.

 

Franz:                    Guten Abend, meine Damen und Herren.

                    Ich bin verrückt, das möchte ich gleich zu Beginn klarstellen, nicht, daß sie erst etwas anderes denken. Ich habe hier auch eine staatlich anerkannte Beglaubigung, hier, sehen sie, mit Unterschriften von richtigen Psychologen und dem Amtsstempel, nicht daß sie denken, ich tu nur so. Ich bin nämlich schizophren, so steht das da auch drauf. Ich weise sie deshalb so genau darauf hin, weil es für mich wichtig ist, nicht zur Verantwortung gezogen werden zu können, wenn ich etwas vielleicht schockierendes sagen sollte.

Sehen Sie, ich leide unter der Einbildung von Stimmen, die mir sagen was ich tun oder lassen soll. Sonst wäre ich auch garnicht hier. Ich folge dem Ruf meiner inneren Stimme und das ist, staatlich anerkannt, wie sie gesehen haben, schizophren.

 Ich weiß nicht, ob sie nicht vielleicht auch eine innere Stimme haben, und wenn ja, ob sie ihr folgen. Dann sollten sie nämlich auch zum Arzt gehen und sich das bescheinigen lassen. Gibt auch ne Rente.

Aber gut, unser Thema ist überaus ernsthaft und ich denke sie wissen auch worum es geht, wenn sie nicht gerade durch puren Zufall auf so einem Theaterstuhl gelandet sind. Es ist jener 9.11. vor einigen Jahren, als dieser Werbespot von Bin Laden Air, mit dem Flugzeug direkt ins Büro, auf allen Sendern lief. Es gab viele Todesopfer, das wissen sie, und sie wissen natürlich auch, daß die amerikanische Regierung in der Folgezeit Afghanistan und Irak überfallen durfte, um sich die dortigen Ressourcen zu sichern, es ist also ein Stoff von menschlicher und politischer Brisanz und meine innere Stimme sagte mir: Franz, denk mal darüber nach.

Habe ich mich überhaupt vorgestellt? Äh, ich bin Franz Kah, 47 Jahre alt und arbeite als staatlich anerkannter Irrer.

Wo war ich stehengeblienben? Ja, also meine innere Stimme sagte mir, denk doch mal über elf neun nach. Sowas macht man ja eigentlich nicht, ich meine die Fakten liegen ja klar auf der Hand und werden dauernd im Fernsehen gebracht. Terroristen, Flugzeug, Bumm. Oder nicht? Gehen sie lieber gleich, wenn sie das nicht in Frage stellen wollen. Ich erzähle ihnen nämlich eine andere Geschichte: Die CIA gründet Al Qaida um einen Kriegsgrund zu schaffen und sprengt mit dem bekannten Medienrummel die Twin Towers. Wollen sie das hören? Ich sag ihnen, ich bin verrückt, ich darf behaupten was ich will, aber sie müssen sich vorsehen, wenn sie ihren sozialen Background nicht auf´s Spiel setzen wollen. Haben sie Kinder? Gehen sie lieber gleich! Sie wollen ihren Job nicht verlieren? Riskieren sie nichts, gehen sie. Nur Verrückte und Hasardeure bleiben hier. Und natürlich die Lauscher vom Verfassungsschutz. He, Sie, sie sind doch so einer.

Victor:                    Ich, meinen sie mich?

Franz:                    Jaja, sie meine ich. Komm, treten sie mal vor.

Victor:                    Nichts werde ich. Ich habe bezahlt und werde gucken.

Franz:                    Also der schreibt dann den Bericht über sie, wenn sie zu interessiert                     zuhören.

                    Ich darf ihnen auch die Dame von der Presse vorstellen, Frau Lapel, hier vorne sitzt sie, stehen sie doch mal auf. Guten Abend , Frau Lapel, sie werden doch sicher nichts schreiben, was sie kompromittieren könnte?

Lapel:                    Nein, natürlich nicht, ich schreibe meinen Bericht, was sonst.

Franz:                    Und würde der Mann vom Verfassungsschutz darin vorkommen?

Lapel:                    Wieso, sollte er? Sie sind doch der Schauspieler.

Franz:                    Aber ich bin kein Schauspieler. Ich bin verrückt. Habe ich das nicht erwähnt? Das würde doch überhaupt keinen Sinn machen, wenn ich, der  ich als einziger in diesem Raum nicht Theater spiele, jetzt damit anfangen würde. Ihr habt mich bezahlt, damit ich kein Theater spiele, denn wie das geht, wißt ihr ja schon gar nicht mehr! Ihr tragt Eure Masken und spielt   Eure Rollen, ich aber bin verrückt und brauche das nicht. Ich darf die Wahrheit sagen, und zwar nicht nur, weil sie mir eh niemand glaubt, sondern auch, damit sie ausgesprochen werden kann. Und was ich sage, ist   kurz, einprägsam und deutlich: Die Al Qaida - Organisation ist ein Arm des CIA, werden sie das schreiben, Frau  Lapel?

Lapel:                    Ich schreibe über ihr Stück, nicht aus ihrem Stück.

Franz:                    Dies ist kein Stück! Hier stehe ich, ich rede und ich habe überhaupt keinen  Grund, Theater zu spielen. Ich bin schon verrückt, ich muß nicht so tun als   ob.

Lapel:                    Dann verstehe ich nicht, wozu die Leute Eintritt gezahlt haben.

Franz:                    Das ist eine gute Frage, vielen Dank. Sehen sie, dies ist ein Theater. Die  Leute würden nicht kommen, wenn kein Stück angekündigt ist. Sie  kommen, weil ein Stück angekündigt ist: Die Wahrheit über elf neun. Nun ist das Stück aber kein Stück, kein Stück Theater zumindest, da habe ich sie   getäuscht, ja, so ist das Leben, der Betrug lauert überall. Nur heute werden  sie nicht mit Betrug betrogen, sondern mit der Wahrheit. Außerdem dient  dieser Schwindel ihrer Sicherheit. Wenn der Schlapphut dahinten mitkriegt, daß hier kein Stück gespielt wird, sondern eine konspirative Versammlung stattfindet, ja, was machen sie dann?

Victor:                    Zwingen sie mich nicht, einzugreifen.

Franz:                    Also. Wenn sie Montag den Kollegen bei der Arbeit erzählen, sie haben ein  Stück gesehen, und da wurde behauptet, der CIA würde Zivilisten töten,  dann ist das etwas anderes, als wenn sie behaupten, die CIA tötet Zivilisten.  Tun sie das nicht! Das kann sie ihr Leben kosten, sie wären nicht der erste!  Ich darf das, weil ich verrückt bin, aber sie dürfen das nicht.

Victor:                    Seien sie sich ihrer Sache mal nicht so sicher. Auch Verrückte können  Verkehrsunfälle erleiden.

Franz:                    Haben sie das gehört, Frau Lapel? Schreiben sie das auf?

Lapel:                    Nichts werd ich tun. Sie sind ein impertinenter Hochstapler, und wenn ich  etwas schreibe, dann das.

Franz:                    Er könnte mich vor ihren Augen erschießen, ohne daß sie das erwähnen würden. Das hieße dann: überzeugende Sterbeszene.

Lapel:                    Bitte, werden sie nicht zynisch.

Franz:                    Verzeihen sie. Kehren wir zurück zu der Wahrheit über elf neun.

Beweise, werden sie sagen, Beweise, als ob es keine perfekten Verbrechen geben würde. Aber gut, reden wir von Beweisen. Daß auf den Amateurvideos schon Sekunden vor dem ersten Einschlag Rauch aus dem Keller zu sehen ist, der von der ersten Sprengung der Fundamente herrührt. Eine kontrollierte Sprengung brachte die Türme zum Sturz, die Flugzeuge waren nur der Showeffekt.

Es ist so offensichtlich, daß es schon langweilig ist, die Beweise aufzuzählen. 2 Flugzeuge, die über Stunden im bestbewachten Luftraum der Erde unangemeldet herumfliegen dürfen, ohne überhaupt Alarm auszulösen.

Ahja, die Übung. Die CIA hatte an dem Tag eine Manöverübung durchgeführt, die darin bestand, die Luftwaffe mit falschen Informationen zu füttern, so daß die Sichtungen der außergewöhnlichen Flugzeuge, die in diesem Luftraum nicht ausbleiben konnten, als Manövermeldungen fehlverstanden werden mußten.

Ach, der Sicherheitsservice, ja. Zwei Wochen vor den Anschlägen wurde er ausgetauscht, die guten alten Wachmannschaften mit Hunden wurden ersetzt durch orangegekleidete Experten, die in aller Ruhe den Sprengstoff anbringen konnten. Der Einfluß von Al Qaida? Ich denke nicht.

Vielleicht sollte ich doch auch noch die gut bekannte Tatsache erwähnen, daß die Bin Laden und die Bush Familie sehr enge Geschäftspartner sind mit einem Haufen gemeinsamer Interessen.

Wußten sie im Übrigen auch schon, daß Amerikas Regierung nicht souverän ist? Das sie keinen Anteil hat am Dollar, sondern sich all ihr Geld gegen Zinsen von einer Privatbank leihen muß? Die sogenannte amerikanische Regierung ist nur eine repräsentative, mit wenig mehr Befugnissen ausgestattet als der König von England. Ein Vollzugsorgan, aber keine Entscheidungsinstanz, wenigstens nicht in den Dingen, an denen die private Nationalbank ein Interesse hat. Das ist die Wahrheit über elf neun, oder haben sie, Herr Verfassungsschützer, dazu eine andere Meinung? Nun los, sprechen sie, die Zuschauer würden ihr Schweigen als Eingeständnis werten.

Victor:                    Sie sind verrückt, Herr Kah. Jeder weiß, daß die Anschläge den Terroristen  zuzuschreiben sind. Die radikalen Islamisten wollen nunmal die  freiheitlich-demokratische Grundordnung stürzen und gehen dafür über Leichen. Finden sie sich damit ab.

Franz:                    Und sie, Frau Lapel? Finden sie sich damit ab? Was werden sie schreiben?  Werden sie es wagen eine Frage zu stellen, die nicht ins Redaktionsschema  paßt? Gar einen Bericht geben? Und wenn ja, werden sie ihn drucken? Der  Chef wird in einem persönlichen Gespräch sich ein Bild von ihrem Geisteszustand und ihrer persönlichen Verfassung machen und danach  entscheiden, ob er es sich noch leisten kann, sie weiter zu beschäftigen.

Lapel:                    Nun übertreiben sie aber nicht, ich bin eine freie Journalistin in einem  freien Land.

Franz:                    So, frei sind sie, vogelfrei vielleicht, ich warne sie, wagen sie es nicht, es wird ihnen nicht gut bekommen.

                    Das gilt für sie alle! Ich habe Narrenfreiheit, sie müssen sich vorsehen.   Laufen sie nicht rum und erzählen ihren Nachbarn von denkwürdigen  Vermutungen und konspirieren sie auch nicht über die Aufklärung der Öffentlichkeit. Ich bitte sie nur um eines: Glauben sie, was sie wollen, aber nicht ausgerechnet das, was sie sollen!

 

1.2.

(Auftritt Schwester Anne)

 

Schwester Anne:                    Ah, hier sind sie, Herr Kah, ich habe sie schon überall gesucht,  sie brauchen ihre Medizin! Kommen sie!

Franz:                    Das ist jetzt kein geeigneter Augenblick, sie sehen doch, daß ich zu tun  hab.

Anne:                    Was haben sie denn schon zu tun! Sie halten hier die Leute auf, das Theaterstück soll gleich losgehen.

Franz:                    Es gibt hier heute kein Stück, heute gibt es richtiges Leben.

Anne:                    Herr Kah, sie brauchen jetzt sofort ihre Medizin, hier, schlucken sie die Tablette!

Franz:                    Ich muß doch noch

Anne:                    Was müssen sie noch?

Franz:                    Ich muß mich doch noch verabschieden.

Anne:                    Dann tun sie das.

Franz:                    Auf Wiedersehen, Frau Lapel, denken sie an meine Worte.

Anne:                    Wars das?

Franz:                    Das wars.

Anne:                    Dann kommen sie. Wir gehen heim.

 

(Beide ab. Frau Lapel nach kurzer Zeit hinterher.)

 

 

2. Bild. Ein Krankenzimmer. Franz sitzt apathisch im Lehnsessel. Schwester Anne kommt herein.

 

2.1.

Anne:                    Schönen Tag, Herr Kah, wie geht es uns denn heute? Haben sie ein feines Mittagsschläfchen gemacht? Da haben sie nichts verpaßt, es ist ein fürchterliches Wetter draußen, naßkalt und windig. Sie kriegen heute Besuch, von einer Dame, nun wollen wir uns mal fein herrichten, daß sie auch hübsch aussehen, so, lassen sie sich mal kämmen; gut; gut. Ihren Pullover werden sie sicher wechseln wollen, ziehen sie lieber den Anzug an. Ist lange her, daß sie Besuch bekamen, nicht? Seit ihre Schwester fortgezogen ist kommt niemand mehr von draußen. Naja, bei mir läuft auch nicht alles so rund, mein Freund ist der reinste Langeweiler, sitzt den ganzen Abend vor dem Fernseher und raus sind wir schon lange nicht mehr gekommen, dazu dieses blöde Wetter die ganze Zeit, ich weiß auch nicht, irgendwie ist zur Zeit der Wurm drin. Aber dann bin ich ja mal gespannt auf die Dame, die sie sehen will, so, hübsch sehen sie aus, dann kann sie ja kommen, eine Frau Lapel, ich hab gehört, sie ist nicht vom Amt, ist also etwas privates. Vielleicht eine alte Jugendliebe? Ach, Herr Kah, sie erzählen ja so wenig über sich, dabei haben sie doch sicherlich ein interessantes Leben gehabt, sie sind ja immer für eine Überraschung gut, wie neulich, als sie am Theater ihre Rede gehalten haben, also ich bin sicher, einige der Zuschauer hielten sie für einen echten Schauspieler. Aber in der Zeitung stand nichts über sie. Wäre ja auch ein bißchen peinlich für das Theater, da kommen die Leute und zahlen Geld und dann müssen sie sich einen Verrückten ansehen; oh, verzeihen sie, ich wollte nicht so über sie sprechen, aber da waren wir ganz schön in Aufregung, wir wußten ja, daß sie ihre Medikamente nicht genommen hatten, und was dann nicht alles passieren kann, erinnern sie sich noch daran, wie sie mal an der Bundesstraße es geschafft hatten, den Verkehr aufzuhalten und eine Rede zu schwingen, man, man, sie sind wirklich ne Nummer, immer für eine Überraschung gut, aber deshalb sind sie ja auch hier, nichts für ungut, Herr Kah, aber so ist das ja nunmal, so, nun noch den Kaffee vorbereiten und die Plätzchen, und dann ist schon alles bereit für den hohen Besuch, wissen sie, ich find das ja auch schön, wenn wir etwas Athmosphäre schaffen können, hier im Heim, sie sollen sich hier ja auch zuhause fühlen, und das ist doch ein zuhause, wenn man bei Kaffee und Gebäck seine Gäste einlädt, ah, ich glaub da kommt sie schon, ich geh sie eben hereinholen.

 

(ab, von draußen)

 

Ah, sie müssen Frau Lapel sein, ich bin Schwester Anne, kommen sie, Herr K wartet schon auf sie, ja, hier ist es, treten sie ein.

2.2. (Anne und Lapel herein)

 

Lapel:                    Sagen sie, kennen wir uns nicht schon?

Anne:                     Ja, meinen sie, nicht das ich wüßte. Ich kann mir Gesichter eigentlich ganz  gut merken.

Lapel:                    Doch, ich weiß, sie sind die Schwester, die Herrn Kah aus dem Theater  abgeholt hat, da hab ich sie gesehen.

Anne:                    Ohja, jetzt erinnere ich mich, sie waren sicher die mit dem Notizblock  vorne, aber das konnte ich nicht erraten, ich hatte sie ja kaum bemerkt, Frau Lapel, aber jetzt wo sie es sagen. Sind sie etwa von der Zeitung, ihr Name kommt mir irgendwie bekannt vor.

Lapel:                    Allerdings. Ich war wirklich beeindruckt von Herrn K, ich konnte nachts nicht schlafen, weil mir seine Fragen durch den Kopf gingen.

Anne:                    Ne, Frau Lapel, wenn sie hier sind, um einen Artikel über unseren Patienten zu schreiben, dann muß ich sie bitten, den Dienstweg einzuhalten. Sie haben sich als Privatperson angemeldet.

Lapel:                    Das bin ich und ich will auch keinen Artikel schreiben, ich sagte ihnen doch, ich kann nicht schlafen, ich möchte mich mit Herrn Kah unterhalten.

Anne:                    Aber belasten sie ihn nicht mit ihren Problemen, Herr Kah ist sehr labil, Aufregung schadet ihm, ich bitte sie, das zu berücksichtigen! Kaffee?

Lapel:                    Danke, ja.

Anne:                    Herr Kah, Kaffee?

                    Möchten sie Kaffee?

Franz (sehr langsam): Ja,

                    bitte.

Lapel:                     Guten Tag, Herr Kah, erinnern sie sich an mich?

Franz:                    Lapel,

                    Kultur

                    redakteurin

Anne:                    Herr Kah, ich entdecke ja ganz neue Seiten an ihnen, sie wissen ja Bescheid.

Lapel:                    Schwester, bitte, lassen sie Herrn Kah reden.

Anne:                    Aber er redet doch gar nicht.

Lapel:                     Lassen sie mich das doch bitte selber herausfinden.

                    Herr Kah, ich bin gekommen, weil ich mit ihnen reden wollte. Mir ist das alles nicht aus dem Kopf gegangen, was sie neulich im Theater erzählt haben. Meinten sie das wirklich ernst?

Anne:                    Frau Lapel, ich muß sie doch sehr bitten, Herr Kah ist in psychotherapeutischer Behandlung und da werden diese ganzen Fragen gründlich bearbeitet. Was wir nicht brauchen können sind Laienpsychologen, die die sorgfältigen Therapiepläne durch unbedarftes Eingreifen gefährden.

Lapel:                    Ich habe ihm doch nur eine ganz normale Frage gestellt. Darf er die bitte  beantworten? Herr Kah?

Franz:                    alles

                    ist ernst

Anne:                    Sehen sie, das meine ich! Sie platzen hier rein, plaudern ein wenig umher  und dann, mit einer Frage, schicken sie ihn direkt wieder in diesedestruktive Lebensauffassung, von der wir ihn seit Jahr und Tag kurieren wollen.

Lapel:                    So, was hat er denn?

Anne:                    Schizophrenie.

Lapel:                    Und wie äußert sich seine Schizophrenie?

Anne:                    Fixe Ideen, Wahnvorstellungen, Paranoia

Lapel (schweigt)

Anne:                    Für Herrn Kah ist die Welt ein bedrohlicher Ort, wo dunkle Mächte finstere Verschwörungen planen.

Lapel:                    Was für dunkle Mächte?

Anne:                    Ich weiß nicht, das ist Sache der Psychologen. Hier auf Station redet er ja nicht viel, wegen der Medikamente, wissen sie, und wir sind auch gehalten, nicht mit den Patienten über ihre Wahnvorstellungen zu sprechen, um sie nicht zu bestärken, in dem was sie sich da denken in ihrem Gehirn.

Lapel:                    Und wozu dienen diese Medikamente?

Anne:                    Die halten die dunklen Mächte im Schach, wissen sie. Sie können sich das  so vorstellen: Die Tablette dämpft seinen Stoffwechsel. Wir nehmen die 100Watt Birne raus und schrauben die 40ger rein.

Lapel:                    Er sieht eher nach 5Watt aus, was machen sie bloß mit dem armen Mann,  neulich war er doch noch so agil.

Anne:                     Dann wissen sie ja, warum er die Medikamente kriegt.

Lapel:                    Nein, ehrlich gesagt will mir das nicht so recht einleuchten. Ich wollte mich  mit Herrn Kah unterhalten, aber das ist ja nun schlecht möglich.

Anne:                    Das habe ich ihnen ja gleich gesagt.

Lapel:                    Könnte man denn nicht die Dosis bei einem Besuch mal verringern? Das er wenigstens reden kann.

Anne:                    Das müssen die Ärzte entscheiden, wir müssen nur dafür sorgen, dass er  die Tabletten auch nimmt.

Lapel:                    Schade. Herr Kah, was sagen sie denn dazu?

Franz:                    Bitte

                    nennen

                    Sie

                    mich

                    Franz

Lapel:                    Was hat er gesagt?

Anne:                    Sie sollen ihn Franz nennen, das ist sein Name, wissen sie.

Lapel:                    Ah ja, Franz, vielen Dank, nennen sie mich Regina. Wie geht es ihnen?

Franz:                    beschissen

Anne:                    Frau Lapel, ich muß sie doch bitten

Lapel:                    Was hab ich denn gemacht

Anne:                    Sie insistieren schon wieder, das beunruhigt ihn.

Lapel:                    Ich hab ihn nur gefragt, wie es ihm geht.

Anne:                    Sehen sie, das meine ich. Sie sehen doch genau wie es ihm geht und stellen dann so eine Frage!

Lapel:                    Kann ich mich bitte allein mit Herrn Kah, mit Franz, unterhalten?

Anne:                    Wie bitte?

Lapel:                    Ich möchte allein mit ihm sprechen.

Anne:                    Wieso? Stör ich sie?

Lapel:                    Allerdings. Jedesmal wenn ich ihm eine Frage stelle, verwickeln sie mich in eine Diskussion.

Anne:                    Ich kann auch schweigen.

Lapel:                    Das bezweifel ich.

Anne:                    Doch, sehen sie.

                    Mucksmäuschenstill

                    Kein Ton

Lapel:                    Sehr rücksichtsvoll von ihnen.

                    Also Franz. Wo waren wir stehen geblieben? Erinnern sie sich an den Abend im Theater?

Franz:                    Ja

Lapel:                    Wissen sie noch, worüber sie da geredet hatten?

Franz:                    Elf neun

Lapel:                    Woher haben sie denn ihre Informationen?

Franz:                    Internet

Lapel:                    Ich kann das im Internet alles herausfinden, so wie sie es gesagt haben?

Franz (atmet angestrengt)

Anne:                    Bitte, Frau Lapel!

Lapel:                    Ist schon gut. Ich muß meine Fragen besser überlegen. (denkt nach)

                 Herr Kah; Franz! (denkt wieder nach)

                    Haben sie; hast du

                    Verflixt, ich weiß nicht was ich ihn fragen soll, dabei sind mir vorhin noch tausend Fragen durch den Kopf gegangen. Das ist aber auch schwierig,  wenn einer so wenig redet.

Anne:                    Das habe ich doch gleich gesagt.

Lapel:                     Haben sie nicht gesagt, dass sie schweigen können? Mein Gespräch mit  Herrn Kah, mit Franz, ist noch nicht beendet,

Anne:                    Ich schweige.

Lapel:                    Also Franz, ich merke, das Sprechen strengt sie doch sehr an. Gibt es vielleicht trotzdem etwas, das sie mir sagen möchten? Was du mir sagen willst?

Franz:                    Paß auf

Lapel:                    Ja, ich paß auf, ich höre.

Franz:                    Vorsicht

Lapel:                    Vorsicht? Wie meinen sie denn das? Ich soll vorsichtig sein?

Franz:                    Ohren. Wände.

Lapel:                    Die Wände haben Ohren? Verstehe. Aber wir dürfen uns doch unterhalten. Und wen sollte das interessieren?

Franz:                    CIA

Lapel:                    Nun übertreiben sie aber nicht. Warum sollte die CIA hier in dieser  Kleinstadt ein Gespräch wie das unsrige belauschen? Soweit ist es ja wohl noch nicht.

Franz:                    Das

                    denken

                    Sie

Lapel:                    Ich habe auf jeden Fall nicht vor, mich zu verstecken. Wenn an dieser Geschichte etwas dran sein sollte, dann muß man die auch diskutieren. Wir  leben in einem freien Land, wo man niemanden wegen einer Meinung   einsperrt.

Franz:                    mich

Lapel:                    Sie? Sie sind aber doch nicht eingesperrt. Sie sind Patient in einer psychiatrischen Klinik.

Franz:                    Ich weiß

Lapel:                    Und wissen sie auch, warum sie hier sind?                    

Franz:                    elf neun

Lapel:                    Herr K, ich weiß nicht, ob ich ihnen das alles glauben kann, aber ich werde mal Nachforschungen betreiben. Wenn an ihren Theorien nichts dran ist, umso besser. Ich denke, ich hab sie auch genug beansprucht. Ich komme  dich mal wieder besuchen, wenn ich etwas herausgefunden habe.

Anne:                    Sind sie jetzt fertig, Frau Lapel?

Lapel:                    Ja. Ich muß mich nur noch verabschieden. Tschüß, Franz.

Franz:                    Tschüß

                    Regina

Anne:                     Dann begleite ich sie zum Ausgang. Haben sie alles? Tasche, Mütze,  Handschuhe?

 

Lapel:                    Ich habe ja meinen Kaffee noch gar nicht ausgetrunken.

Anne:                    Lassen sie ihn stehen, ich bring ihn nachher weg.

Lapel:                    Nein, soviel Zeit muß sein.                     (trinkt schweigend)

Anne:                    Wollten sie nicht gehen?

Lapel:                    Ach wissen sie, ich hab es mir anders überlegt. Herrn K tut sicherlich ein wenig menschliche Wärme gut. Ich werd noch ein Weilchen sitzen bleiben und seine Hand halten.

 

Anne:                    So, war das jetzt genug menschliche Wärme?

Lapel:                    Ich habe noch Kaffee.

Anne:                     Der wird kalt.

Lapel:                    Haben sie nicht etwas Musik? Herr K würde sicherlich gerne etwas Musik   hören. Nicht wahr, Franz? Sagen sie nichts, ich weiß was sie hören wollen.  Spielen sie das Lied von Mackie Messer.

Anne:                    Mackie Messer? Ich wollte gerade was romantisches vorschlagen, wir   haben hier Entspannungsmusik von Om Shakalaka Chi, oder wie wärs mit  der Nachtmusik von Mozart?

Lapel:                    Mackie Messer, bitte.

Anne:                    Wir haben hier Mackie Messer nicht.

Lapel:                    So? Trotz Zugriff auf´s Internet?

Anne:                     Wir sind ein Krankenhaus. Unsere Musikdateien sind vorsortiert.

Lapel:                    Verstehe. Dann singe ich halt selber.

 

                    Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht. Und Mackie  der hat ein Messer, doch das Messer, sieht man nicht.

                    An nem schönen blauen Sonntag liegt ein toter Mann am Strand. Doch es war nicht Mackie Messer, der bei allen wohlbekannt.

                    Wag es nicht ihn, viel zu fragen, wag es nicht ihn anzusehn, denn dann geht’s dir an den Kragen, oh laufe weg und bleib nicht stehn

                    Und das große Feuer in Soho sieben Kinder und ein Greis, und wo warst du, Mackie Messer, sag mir welches war dein Preis

 

Anne:                    Das war aber nicht der Originaltext

Lapel:                    Ich weiß. Das ist die Version aus einem Theaterstück, das vor einigen Jahren im Stadttheater lief, ich erinnere mich jetzt nämlich, ich hatte Herrn Kah damals schon gesehen gehabt. Nicht wahr, Franz, hast du nicht in dem Stück mitgespielt?

Franz:                    Ja

Lapel:                    Jetzt fällt es mir wieder ein! Ich hatte mich noch gewundert das das Stück nur einmal gespielt wurde, weil es doch eigentlich ganz gut angekommen war. Wie hieß es noch gleich?

Franz:                    Die Wahrheit

                    über

                    Elf Neun

Anne:                    Ich kann ihnen sagen, warum das Stück nur einmal gespielt wurde. Herr   Kah wurde krank. Ein plötzlicher Ausbruch seiner Schizophrenie brachte  ihn zu uns, und dann habe sie wohl keinen Ersatz gefunden.

Lapel:                    Ersatz? Wofür?

Anne:                    Na für das Stück natürlich. Sagen sie, war das nicht auch zu der Zeit, als das Theater sowieso umstrukturiert wurde?

Lapel:                    Sie kennen sich aus im Theater?

Anne:                    Nö, nicht direkt, aber der Bruder von meinem Freund war mal mit soner   Schauspielerin zusammen, das war vielleicht ein Paar. Sie total chaotisch,   er der reinste Langeweiler, na und die hatte halt da nen Job gekriegt, ist  auch nicht lang geblieben, hat dann irgendwie die Stadt verlassen. Naja, so  ist das halt, Menschen kommen, Menschen gehen.

Lapel:                    Was reden sie sich da eigentlich zusammen?

Anne:                    Haben sie ihren Kaffee ausgetrunken? Es ist jetzt auch Zeit für sie, zu gehen.

Lapel:                    War eine Zeitbegrenzung vereinbart?

Anne:                    Sie sehen doch, dass Herr Kah müde ist. Er braucht seine Ruhe.

Lapel:                    Ach so?

Anne:                     Sie können ja nächste Woche wiederkommen, wenn ihnen der Aufwand nicht zu groß ist. Herr Kah braucht seine Medizin.

Lapel:                    Er ist doch schon vollkommen ausgenockt.

Anne:                     Sie können nicht den inneren Aufruhr sehen, der in ihm wallt, Frau Lapel,  ich sage ihnen, diese psychischen Krankheiten sind furchtbar. Die Seele ist  ja nichts faßbares, und wenn die nicht funktioniert, dann können wir als  Mediziner sag ich mal, ja nicht direkt eingreifen, wir haben ja nur denKörper und diese Therapien sind ja, unter uns gesagt, nicht wirklich  effektiv, ich meine in all der Zeit, die Herr Kah jetzt hier ist, hat sich sein Gesundheitszustand  nicht wirklich verbessert.

Lapel:                    Er hat sich stabilisiert, nehme ich an.

Anne:                    Auf niedrigem Niveau, ja.

Lapel:                    Gut. Dann will ich sie auch nicht länger aufhalten, obwohl ich ja gerne  noch ein Weilchen geblieben wäre, aber wenns denn sein muß.

Anne:                    Ich bring sie hinaus. Haben sie alles? Handschuhe, Brille, Zettel, Schal?

Lapel:                    Jaja. Tschüß Franz!    (gibt ihm einen flüchtigen Kuß)

Anne:                    So charmant, Frau Lapel. Habe ich ihnen eigentlich schon erzählt, dass wir  einen kleinen Shop haben, wo die Produkte aus der Ergotherapie zu   erwerben sind? Es ist doch so wichtig für unsere Patienten, daß sie auch Anerkennung kriegen für das was sie schaffen. Vielleicht haben sie ja noch eine Minute, da reinzuschauen?

Lapel:                    Och, was gibts denn da?

(im abgehen)                 

Anne:                    Körbe hauptsächlich, und Hüte. Aber auch ein paar Bilder und etwas    Literatur.

(beide ab)

 

2.3.                 (Licht; Musik)

 

Kah:                    Jetzt ist sie gegangen, jetzt ist sie fort. Ob sie auch mal wiederkehrt? Ob sie mal bleibt? Ist es Tag oder Nacht, noch hängt hier ihr Duft, an diesem Platz hat sie gesessen, fast ist mir, als sitze sie hier noch. Regina, hattest du nicht Fragen? Wo ist Deine Zeit, so schnell warst Du weg, als wärst Du garnicht erst angekommen. Aber Du warst ja da, nur wo war ich? Mir dünkts, ich hätte hier gesessen, wenn auch nur ein Teil von mir. War es Tag, war es Nacht, war es vielleicht gar nur geträumt? Nein, denn Dein Duft hängt hier, so war es wahr, kein Traum, kein Schatten. Ich hab Dir soviel nicht gesagt. Weißt Du Regina, bist Du da, ist es Nacht, ist es Tag, ich hab ja einen Traum und ich hab auch einen Sinn für alles das, weißt Du, dann steht da der Präsident vor mir, der Präsident der Welt, der mich durch seine Marionetten hier gefangenhält, und ich sehe nicht nur mich, sondern auch die Abertausend Menschen, die an seinen Fäden hängen und wo wieder andere dran hängen, die ganze Menschenwelt mit ihren Träumen und Ideen, mit ihrer gefesslten Geschäftigkeit, und ich will ihn anschreien, den Präsidenten, aufwecken, will ihm die Fäden von den Fingern nehmen, damit er die Welt frei läßt, aber dann sehe ich, daß er selbst so gefesselt ist wie all die anderen, ja, schlimmer noch, nie habe ich eine unfreiere Person gesehen, jedes einzelne Glied jedes einzelnen Fingers dick eingeschnürt mit Fäden, die noch die kleinste Nervenzuckung kontrollieren, so steht der Präsident vor mir, ein gefesseltes Tier; und ich denk so im Traum, was ist das für eine Macht, die den Präsidenten so beherrscht, und also fange ich an, den Fäden zu folgen, und je weiter ich ihnen folge, hoch in den Himmel hinaus, zwischen Wolken und Sternen, je weiter ich ihnen folge und mich bemühe, die Fäden zwischen den Fingern nicht zu verlieren um ihnen weiter folgen zu können, um so mehr bemerke ich, ein kleiner Verdacht anfangs nur, der sich immer weiter verdichtet, daß ich selbst es bin, der diese Fäden in der Hand hält, ich selber habe den Präsidenten gefesselt und über ihn auch die ganze Welt und mich, und erschrocken versuche ich, die Fäden loszulassen um die Welt zu befreien, aber schon spüre ich meine Fesseln wieder und ich bin dazu nicht in der Lage.

Regina, hörst Du mir zu? Es gibt einen Sinn hinter diesem Traum, ich habe ihn gerade neulich erst entdeckt. Regina? Wir können die Fesseln nicht lösen, es kann gar keine Freiheit für uns geben, wir müssen nur das Wort ersetzen: Die Fesseln sind Bindungen, sie hindern uns nicht zu leben, sie ermöglichen es uns.

 

Regina? Regina! Wo bist Du, ich dachte, Du wärst hier! Laß mich nicht alleine, ich brauche Dich doch. Sie haben mir doch sonst schon fast alle Fesseln genommen! Wo bist Du, Regina, Regina!!!

 

2.4.

(von einem abseitigen Platz, im Net, ggf. Off, Schreibmaschinengeräusche)

 

Victor:

Regina Lapel, 37 Jahre, geboren in Mitteldorf, unverheiratet, kinderlos. Zeitungsjournalistin Bereich Regionales, Kulturelles, Vermischtes. Vereinsangehörigkeiten: Keine

Vorstrafen: Keine

Politische Aktivitäten: Keine.

Ein gänzlich unbeschriebenes Blatt, erstaunlich.

Nicht auf einer einzigen Demonstration gewesen.

Kein gewerkschaftliches Engagement

Kein kirchliches Engagement.

Sie ist in einer Weise unauffällig, daß wir noch nichtmal ein Dossier über sie hatten!

Wahlverhalten wechselnd. Gerne kleine Parteien und Freiwählergemeinschaften aus dem bürgerlichen Spektrum.

Eine Jugendliebe war mal auf einer Demonstration gegen die Erhöhung von Studiengebühren.

Eine lose Freundin ist Gewerkschaftsmitglied.

Nichts weiter.

Das ist ja wirklich erstaunlich. Eine vollkommen harmlose Bürgerin.

2.5.                  Normales Licht

(Schwester Anne und Regina Lapel kommen herein, ein Gespräch fortsetzend.

 

Anne:                     Was wollen sie eigentlich von ihm?

Regina:                    Das ist ein ganz normales menschliches Interesse.

Anne:                     Und was interessiert sie an ihm?

Regina:                    Ich bin in ihn verliebt! Zufrieden?

Anne:                    Also ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie man sich in den Herrn Kah  verlieben  kann, der wäscht sich doch noch nichtmal ordentlich.

Regina:                    Das kann ich ja anders sehen.

Anne:                    Das bezweifel ich. Außerdem ist er mittellos. Nicht wahr Franz? (klopft ihm zumunternd auf die Schulter) Sie sind keine so gute Partie, nicht?

Franz mit offenem Mund, schweigend

Regina:                    Hallo Franz

Franz will etwas antworten

Anne:                    Sie sehen, ihm geht es zur Zeit nicht so gut.

Regina:                     Bitte, lasssen sie uns reden. Franz, wie geht es denn dir?

Franz:                     Wie es mir geht? Es geht mir? Was geht mir? Wieso geht was mit mir? Ich  gehe doch garnicht, Regina.

Regina:                    Armer Franz! Was fühlst du denn?

Franz:                    Ich fühle fast nichts, Regina, ich bin mir so abhanden gekommen. Ich fühle  meine Hände nicht, wie sie an mir herabhängen, meine Beine sind taub, sie halten mich gerade noch aus Gewohnheit, und mein Kopf, ich weiß nicht,  der ist immer irgendwo anders. Bist du denn jetzt tatsächlich da?

Regina:                    Sicher bin ich da. Wo soll ich sonst sein?

Franz:                    Nein, du sollst nirgends sonst sein. Ich find das schön, daß du da bist, ich   habe dir soviel zu erzählen…

Regina:                     Was willst du mir denn erzählen?

Franz:                     Du darfst keine Angst haben.

Regina:                     Ich habe keine Angst.

Franz:                      Das ist so wundervoll an dir. Bewahr dir das!

Regina:                     Was wolltest du mir denn erzählen?

Franz:                     Na, das.

Regina:                     Das ich keine Angst haben soll?

Franz:                    Ja.

Regina:                     Franz, ich muß dir mal was sagen. Ich bin Regina Lapel, ich habe vor niemandem Angst. Ich bin ein so unbedeutendes kleines Nichts, daß niemand auf die Idee kommen könnnte, mir schaden zu wollen. Meine Zeitungsartikel werden nur von denen gelesen, über die ich berichte, meine  Sozialkontakte finden so gut wie nicht statt, mein Konto ist immer leer, obwohl ich nichts ausgebe, wovor sollte ich noch Angst haben? Das mir jemand meine Plattensammlung klaut? Wer denn? Du?

Franz:                     Ich klau dir nicht deine Plattensammlung. Ich bau mit Dir eine neue Welt.

Regina:                    Mit mir? Wieso?

Franz:                    Weil du keine Angst hast.

Schweigen. Schwester Anne setzt an zu reden und setzt ab. Schließlich doch:

Anne:                    Kommen sie, Regina, ich denke es reicht für heute.

Regina:                    Ich komme nächste Woche wieder, Franz. Dann können wir ja deine neue  Welt weiterbauen.

(Beide ab. Musik. Vorhang)

 

 

 

3. Bild

Zu Hause bei Frau Lapel. Die Szene beginnt im Bett aus dem off, sichtbar ist der Wohnbereich. Regina und Victor

 

3.1.

Regina:                     Liebst Du mich? Das mag vielleicht dumm klingen, aber das ist doch jetzt die Frage. Du platzt in mein Leben, stellst Dich kaum vor, und jetzt liegen wir hier schon zusammen. Ist das nun der Anfang vom Glück? Oder lohnt es nicht zu hoffen, bleibt nur die Erinnerung an eine rauschende Nacht? Nein, antworte nicht eilig, ein ausgesprochenes Wort holt niemand mehr zurück. Frage erst Dein Herz, ob Du wirklich bleiben willst. Wenn nicht, geh, es steht Dir frei, es wird nichts bleiben als eine Erinnerung, die kann ich mir behalten in meiner Einsamkeit, denn einsam werde ich sein, ohne Dich, nun, da ich mich Dir geschenkt habe. Doch das soll nicht Deine Sorge sein, Du magst ein anderes Leben für Dich haben, tu, was Du willst. Nur frag Dein Herz, und wenn das Dir rät, zu bleiben, dann zögere nicht, dann habe keine Angst, Dich mir anzuvertrauen. Ich werde Dir treu sein. Und was für Schwierigkeiten wir auch begegnen werden, ich werde an Deiner Seite stehen, um sie mit Dir zusammen zu meistern.

Nur eines darfst Du nicht, und das ist, mir jetzt anders als Ja oder Nein zu antworten. Quäl mich nicht mit hinhaltenden Erwägungen, ich will kein vielleicht und kein wir müssen mal sehen hören, denn das ist nicht die Sprache des Herzens. Die Sprache des Herzens ist immer licht, und das wahre Licht kann niemals verletzend sein. Drum trau Dich und sag ja oder nein, wenn Du jetzt sprichst, denn jetzt frage ich Dich: Liebst Du mich?

Victor:                    Nein, denn ich bin nicht dein Feind. Ich sag kein Ja das fesselt und bindet, ich laß dich nicht auf einem Versprechen sitzen, daß du leichtfertig gabst, ohne zu verstehen, auf was du dich da einläßt. Und auch ich geh kein Versprechen ein, ohne in gründlicher Art und Weise das für und wider erwogen zu haben. Frag mich später noch einmal.

Regina:                    Du versuchst dir eine Hintertür zu lassen, aber das laß ich nicht gelten. Du bist für immer mein Geliebter, aber ich muß Dich jetzt bitten zu gehn.

Victor:                    Wie, jetzt sofort?

Regina:                    Willst du etwa rumtrödeln?

Victor:                    Ich dachte, wir könnten noch ein bißchen plaudern, das hat doch ganz nett   angefangen zwischen uns beiden!

Regina:                    Ganz nett sagst du? Das wars dann ja wohl. Ich möchte ja nicht zur Eile  treiben, aber bevor du noch was kaputtmachst…

Victor:                    Ich mach doch gar nichts kaputt, eben lagen wir noch wirklich entspannt  beieinander, und jetzt machst du hier diese Hektitk. Von wegen!

(Schweigen)

Regina:                    Entschuldige, vielleicht hast du recht. Möchtest du noch einen Kaffee?

Victor:                    Sehr gerne, ja bitte.

Regina:                    Wie heißt Du eigentlich?

Victor:                    Victor

Regina:                    Ich bin Regina

Victor:                    Sehr erfreut.

Regina:                    Und, was machst du so beruflich?

Victor:                    Ich bin Verfassungsschutzagent.

Regina:                    Aha!

Victor:                    Und Du?

Regina:                    Ich bin Kulturredakteurin beim Stadtanzeiger.

Victor:                    Klingt interessant.

Regina:                    Ist es aber nicht. Bockbierfeste und Vereinsjubiläen, mir steht es bis hier.

Victor:                    Da wäre eine richtige große Story mal was anderes, nicht wahr?

Regina:                    Wie meinst denn du das?

Victor:                    Ein Skandal zum Beispiel, etwas, was die Leute interessiert.

Regina:                    Das ist nicht mein Ressort.

Victor:                    Und wenn du nunmal an einer richtig großen Story dranwärst?

Regina:                    Was für ne richtig große Story? Ich bin Kulturredakteurin beim Lokalteil.

                    Mit Milch oder Zucker?

Victor:                    Wie?

Regina:                    Den Kaffee, mit Milch oder Zucker?

Victor:                    Schwarz, bitte.

Regina:                    Schwarz, soso, einer von der düsteren Sorte.

Victor:                    Darf ich hier rauchen?

Regina:                    Wenns nicht zur Gewohnheit wird.

Victor: (raucht)                 Und neulich im Theater? Das war doch auch mal was  interessantes.

Regina:                    Naja, ein Theaterstück halt. Allzu oft hat man das ja nicht, das war ganz  nett, ja.

Victor:                    Ganz nett, soso. Wenn das die Leute vom Theater hören würden. Aber  dieser Irre vorneweg, das war doch schonmal was anderes.

Regina:                    Ja. Der Mensch tut mir richtig leid. Wissen sie, ich habe ihn besucht in seinem Krankenhaus. Der arme Mann liegt da völlig apathisch herum.

Victor:                    Er ist ja wohl krank.

Regina:                    Ich glaube, die geben ihm zu viele Medikamente. Wenn der erstmal wach  ist, dann kann man ihm auch helfen.

Victor:                    Wär das nicht mal eine Story?

Regina:                    Das soll eine Story sein? Aber unter welcher Rubrik denn?

Victor:                    Menschliches, Allgemeines, Vermischtes, Politisches…

Regina:                    Da ist doch nichts politisch dran.

Victor:                    Nicht? Du redest schon von dem Herrn Kah, nicht?

Regina:                    Wieso? War der etwa mal Politiker? Das glaube ich nicht. Du müßtest das doch wissen in deinem Beruf.

Victor (macht die Zigarette aus):   Ich weiß gar nichts. Ich beobachte nur. Und stelle Fragen. Der Rest ergibt sich dann von allein. Weißt du, Regina, ich  geh jetzt lieber. Und bestell deinem Herrn Kah einen schönen Gruß von   mir. Er solle mal nicht so viel ausplaudern.

Regina:                    Ach, was soll der schon ausplaudern. Schade, daß du nein gesagt hast.   Gibst du mir einen Abschiedskuß?

Victor:                    Ich würde auch ein Rendezvous in Betracht ziehen können.

Regina:                    Das könnte dir so passen, du dreckiger Schuft, jetzt gib mir meinen  Abschiedskuß und dann geh fort aus meinem Leben.

(Der Kuß. Victor geht)

 

Regina (singt):                 Alle Tränen dieser Welt bringen mein Herz nicht mehr zurück.

                    Der wilde Strom riß mit sich unser sommerfarbnes Glück

                    Und ich stehe hier am Fenster, träume von dem letzten Kuß

                    Der so süß und bitter schmeckte, daß ich wieder weinen muß                    2x

 

3.2.

(Musik. Lichtwechsel. Kah im Raum)

 

Kah:                    Weine nicht, Regina

Regina:                    Wie kommst du hier herein?

Kah:                    Durch deine Gedanken. Ich bin bei dir.

Regina:                    Aber das geht doch nicht.

Kah.                    Das macht nichts. Es ist, was ist. Hab keine Angst.

Regina:                    Ich habe keine Angst.

Kah:                    Ich weiß. Bist du traurig, weil er gegangen ist?

Regina:                    Mit ihm ging meine Liebe.

Kah:                    Ich bin auch noch da.

Regina:                    Ja.

Kah:                    Ich bring dir deine Liebe zurück.

Regina:                     Das ist absurd.

Kah:                    Nicht, wenn du beginnst, daran zu glauben.

Regina:                    Was soll ich denn glauben?

Kah:                    Das alles ist, wie es ist. Komm, lehn dich ein bißchen bei mir an.

Regina:                    Warum wollte er mich denn nicht?

Kah:                    Weil er ein dummer Mann ist. Er kann nicht auf sein Herz hören. Er hat  dich ausgenutzt und versucht, dich auszuhorchen.

Regina:                    Das hat er gemacht?

Kah:                    Ich fürchte ja, leider.

Regina:                    Dann hat er mich von Anfang an betrogen.

Kah:                    Es ist, was ist. Nun sind wir ja beisammen.

Regina:                    Du bist nicht wirklich hier.

Kah:                    Das macht nichts.

Regina:                    Du bist nicht Victor.

Kah:                    Ich bin Franz.

Regina:                    Das ist nicht dasselbe.

Kah:                    Das macht nichts.

Regina:                    Liebst du mich?

Kah:                    Ja.

Regina:                    Wieso? Ich bin an einen anderen geraten.

Kah:                    Auch das macht nichts.

Regina:                    Und was macht was?

Kah:                    Das du da bist und das ich da bin. Das ist das was ist.

Regina:                    Es ist, was ist, was ist, ist wahr. Ich fühle mich so sonderbar, ja mir ist  so, ich weiß nicht wie. Bist du noch da? Bist du hier?

Kah:                    Ich bin bei dir.

Regina:                    Verlaß mich nicht.

Kah:                    Nein, schlaf ruhig ein, ich werde bei dir sein.

 

(Musik, dann Stille, normales Licht. Regina liegt. Schlüsselklappern.

3.3.

Victor (Off):                 Aus diesem Zimmer kam der Notruf. Jetzt müssen wir mal  sehen, wie wir hereinkommen… So!

(Victor und Anne ins Zimmer)

 

Anne:                    Wie riecht denn das hier?

Victor:                    Da (zeigt auf Regina). Das ist eine Rauchvergiftung!

Anne:                    Das ist ja Frau Lapel.

Victor:                    Sie braucht medizinische Versorgung!

Anne:                    Ich will sehen, was ich tun kann. (geht zu Regina)

                    Sie ist stabil!

Victor:                    Was heißt das?

Anne:                    Es geht ihr gut, sie muß nur ihren Rausch ausschlafen.

Victor:                    Wir sollten sie doch lieber ins Krankenhaus mitnehmen, sicherlich hat sie versucht, sich umzubringen und bedarf ärztlicher Kontrolle.

Anne:                    Das dramatisieren sie. Aber komisch ist das schon, so dazuliegen… Das hätte ich von der Frau Lapel nicht gedacht.

Victor:                    Wir fahren sie ins Krankenhaus. Da wird ihr besser geholfen.

Anne:                    Die braucht keine Hilfe. (sieht sich um).

                    Das ist ja eine trostlose Wohnung. Wo ist denn hier der Fernseher?

                    He, sag mal, sind das nicht diese sogenannten Schallplatten? (untersucht  eine) Die sehen ja merkwürdig aus. Die spielen Musik?

Victor:                    Allerdings.

Anne:                    Und was will sie mit den ganzen Büchern (stöbert) “Herzen im Wind”  "Herzen im Sturm”, “Herzen im Orkan”, “das Liebesleben des Herrn O.” “Meer der Gefühle” “Rausch der Leidenschaft”. Das ist ja interessant. (schlägt ein Buch auf)

Victor:                     Kommen sie, lassen sie uns nicht den ganzen Tag vertrödeln. Wir nehmen sie mit.

Anne:                     Ach was solls. sicher ist sicher.

(sie tragen Regina raus)

Anne (dabei): Also, ich würde es nicht aushalten ohne Fernseher, womit soll man sich denn sonst die Zeit vertreiben?

Victor:                    Ach, Bücher sind doch eigentlich auch was schönes.

Anne:                    Ja, finden Sie? Lesen sie denn auch?

Victor:                    Naja, nicht solche Liebesromane. Ich steh mehr auf Science Fiction.

Anne:                    Und was haben sie davon?

Victor:                     Ach wissen Sie, wenn ich lese... (im abgehen, man hört ihn nicht mehr)

 

(Musik. Anne kommt nochmal rein, schnappt sich zwei Bücher, und macht das Licht aus.)

 

 

 

 

 

4. Bild (vor dem Vorhang, wie Bild 1. V zum Publikum)

 

Victor:                    Bitte, halten sie mich nicht für herzlos, ich tu nur meinen Job. Es ist auch für mich nicht leicht, zuzusehen, wie Frau Lapel, wie Regina ins Irrenhaus kommt, bloß weil sie nicht erpreßbar oder bestechlich ist. Ich hätte ihr gerne einen Platz an meiner Seite angeboten, aber wie? Womit hätte ich sie unter Druck setzen können? Sie ist ja wirklich eine arglose Person, die der Stimme ihres Herzens folgt, und damit ist sie unberechenbar. Es gab für mich keine andere Lösung.

Oder hätte ich “ja” sagen sollen? Nein, ein so falsches Spiel konnte ich nicht spielen, sehen sie, ich hab auch Gefühle, ja, ein Gewissen, und auch wenn ich tun muß, was zu tun ist, so mach ich noch lange nicht das, was jenseits der Pflicht die Sache des Fanatikers wäre. Ich tue nur meinen Job und ich bin nicht herzlos.

Ich war ja fast geneigt, aus persönlichen Gründen “ja” zu sagen, sie tatsächlich als Frau an meiner Seite anzuerkennen, nicht aus Pflichterfüllung oder taktisch, nein, weil sie mich berührt hat, aus Liebe. Es ist selbstverständlich, daß ich mir das versagt habe, als Agent habe ich weitergehende Pflichten, verfolge ich Interessen und werde auch entsprechend bezahlt, aber ich gebe zu, daß ich nicht mehr so ruhig schlafe, seitdem, und mich manchmal frage, ob es nicht ein Fehler gewesen sein könnte, Reginas Angebot abzulehnen. Natürlich kann ich mich immer schnell davon überzeugen, daß ich keine Wahl hatte, aber sehen sie, ich bin nicht herzlos, ich zweifle. Und der Zweifel zieht mir den Boden unter den Füßen weg, der Zweifel raubt mir meine selbstversändlich geglaubte Sicherheit und wirft mich in eine Welt der offenen Fragen. Ob es sich wirklich lohnt, für die gewissenhafte Pflichterfüllung den Liebeslockungen zu widerstehen. Ob ich nicht besser daran täte, arm und geächtet mich von einem Menschen geliebt zu wissen, als respektiert und dekoriert möglicherweise einsam zu sterben. Ob hehre Ziele wie Frieden, Freiheit und Demokratie, denen zu dienen ich mich verschrieben habe, tatsächlich übergeordnet sind über das Leiden des Einzelnen, oder ob es sich bei jenen nur um hohle Phrasen handelt, während mein Liebeskummer mir anzeigt, wohin es mein Herz zieht.

 

Regina, ach Regina! Wirst du mir verzeihen, daß ich tat, was ich zu tun hatte? Wirst du dein Herz mir nochmal öffnen können? Wirst du deine Frage noch einmal stellen, so wie ich es mir erbeten hatte? Ich werde nicht wieder zögern, um falsch zu antworten, ich weiß es jetzt, Regina, ich sag ja, ich sag ja. Regina! (geht ab)

 

5. Bild                 Der Salon vom Krankenhaus. Etwas hergerichtet für eine Geburtstagsfeier.

                 Regina und Franz kommen herein.

 

5.1.

Regina:              Es ist noch niemand da.

Franz:                Du bist da.

Regina:              Ja.

Franz:                Ich bin da.

Regina:              Ja. Du bist hier.

Franz:                Ich bin hier, ja.

Regina:              Ich bin auch hier.

Franz:                Wir sind hier.

Regina:              Ja, wir sind da.

Franz:                 Das ist schön.

Regina:              Ja.

(Stille)

Franz:                 Wollen wir zusammen atmen?

Regina:              Ja.

(atmen zusammen)

 

5.2.                 Schwester Anne kommt herein

 

Anne:                    Hallo, hallo, meine beiden Hübschen, ihr habt es euch ja hier schon richtig  gemütlich gemacht, Ich bringe den Kaffee und den Kuchen. So; so; (stellt  hin). Dann können wir ja feiern.

                 (in feierlicher Pose): Herzlichen Glückwunsch, Herr Kah, zum Fünfzigsten Geburtstag. (schüttelt ihm die Hand) Schön, daß sie bei uns sind.

                    Und das ist ihr Geburtstagsgeschenk.

Franz:                    Oh, ein Buch.

Anne:                    Ich wußte, daß sie sich freuen würden. Sie haben ja früher viel gelesen, vielleicht fangen sie wieder damit an! Na los, packen sie schon aus!

                    Soll ich ihnen helfen? (packt das Buch aus) Da! Der Sommer der Liebe. Das neue Buch von Ricardo Sunset. Ich bin schon so gespannt! (blättert in dem Buch) Hier, nehmen Sie! Es ist ihres. (gibt ihm das Buch).

                 So, und nun der Kaffee (schenkt ein, verteilt Kuchen)

                    Auf ihren Geburtstag! (Sie deutet ein Prosit an, dem sich Regina und Franz nicht wirklich anschließen.) Darf ich mal? (nimmt Franz das Buch aus der Hand und blättert drin rum.)

                 (Es klingelt)

                 Oh, wir kriegen Besuch! Sie werden einen Gast haben Herr Kah! Das wird  ja eine richtige Geburtstagsfeier! (geht hinaus, gibt dabei Franz das Buch wieder)

Regina:                    Gib mir doch mal das Buch, bitte! (Kah gibt es ihr, sie beginnt von vorne zu lesen)

Franz:                    Du, Regina

Regina:                    Hmm?

Franz:                    Ach, nichts. (Pause). Ist es spannend?

Regina:                    Mmh.

Franz:                    Gut. (Schweigen) Ach ja. (atmet)

 

 

5.3.                 Anne und Victor herein

 

(noch im Off)

Anne:                    Na, das ist ja jedenfalls eine schöne Überraschung daß sie heute hierherkommen, Herr Kah wird sich sicher freuen, sie zu sehen, er hat nämlich heute Geburtstag, wissen Sie?

Victor:                    Ach so? Eigentlich wollte ich nur Regina sprechen (herein)

 Anne:                    Na, das wird sich sicherlich einrichten lassen, sie ist ja auch hier.

                    Herr Kah, sie haben Besuch, wollen Sie nicht ihren Besuch begrüßen?

Kah:                    Sind sie gekommen, um mich zu verhöhnen?

Victor:                    Wie gesagt, eigentlich wollte ich mit der Frau Lapel sprechen.

Anne (zu Victor mit Nachdruck):    Nun gratulieren sie ihm schon!

Victor:                    Ja, Herr Kah, also herzlichen Glückwunsch zu ihrem Geburtstag (will ihm die Hand geben)

Kah:                    Pfff! Holen sie mich lieber hier raus, sie Schleimscheißer!

Anne:                    Herr Kah, bitte! Bleiben sie höflich!

Kah:                    Ich bin höflich!!!

Victor:                    Ich wollte ja auch eigentlich Regina sprechen. Regina?

Regina (lesend):     Hmm?

Victor:                    Regina, ich muß mit dir reden.

                 Regina!?!

Regina:                    Hmm?

Victor:                    Ich muß mit dir reden!

Regina:                    Ich bin beschäftigt. (liest weiter)

Anne:                    Frau Lapel, nun legen Sie mal das Buch beiseite, der Herr möchte mit  ihnen reden!

(Regina reagiert nicht, liest weiter)

Anne:                    Regina, der Herr möchte mit Dir reden! (reißt ihr das Buch aus der Hand und blättert dann darin)

Regina:                    He! Welcher Herr?

Victor:                    Ich bins, Regina, Victor, ich bin gekommen um mit dir zu reden.

Regina:                    Mit mir? Worüber denn?

Victor:                    Über uns.

Regina:                    Wieso? Was gibt es denn da zu reden?

Victor:                    Alles! Ich kann Dich einfach nicht vergessen, Regina, ich liebe Dich, ich möchte für immer mit Dir zusammensein, ich habe mir alles überlegt, jetzt sage ich Ja, wenn du mich nochmal fragst, ob ich dich will!

Regina:                    Zu spät. (zu Anne): Geben sie mir mein Buch wieder.

Anne:                    Das ist das Buch von Herrn Kah.

Regina:                    Aber ich hatte gerade drin gelesen!

Anne:                    Na und, jetzt lese ich!

Victor:                    Regina, überleg es dir doch noch einmal! Ich könnte Dich hier rausholen!

Renate:                    So? Was hätte ich davon?

Victor:                    Du könntest dein altes Leben wieder führen, so wie früher; naja. deinen Job kriegst du vielleicht nicht wieder, aber da wird sich schon was finden.

Regina:                    Und was ist mit Franz?

Victor:                    Der bleibt natürlich hier, was ist denn das für eine Frage?

Regina:                    Ohne Franz geh ich nirgendwo hin. (zu Anne) Geben sie mir mein Buch zurück!

Victor:                     Aber Regina, versteh doch, Herr Kah ist ein Staatsfeind, eine persona non  grata, den kann man nicht einfach freilassen. Das wäre nicht demokratisch.  Bei dir ist es ja was ganz anderes. Du bist ja praktisch nur zur Vorbeuge hier, da läßt sich bestimmt was drehen.

Regina (wütend): Gib mir mein Buch wieder! (reißt es Anne aus der Hand)

Anne:                    Heh, was soll das?

Victor:                    Herr Kah, helfen sie mir doch, wie kann jemand nur so verbohrt sein! Ich  will doch nur ihr bestes! Geben sie sie frei, sagen sie ihr, daß sie mit mir gehen soll!

Franz:                    Sagen sie ihr das doch selber!

Victor:                    Das tue ich ja, aber sie hört nicht.

Franz:                    Pech für Sie.

Victor:                    Sie hört doch auf sie! Reden sie mit ihr! Sie vertut hier doch ihr Leben.

Franz:                    Oh, das finde ich nicht. Sicher, sie schreibt nicht mehr in der Zeitung und das ist natürlich ein Verlust an äußerem Lebenssinn, aber es ist nur einäußerlicher Verlust, sehen sie, Frau Lapel und ich, wir reifen innerlich miteinander, wir atmen zusammen, wir leben zusammen, das ist viel wert, auch wenn in der Außenwelt davon nicht so viel zu sehen ist, und auch wenn sie das vielleicht nicht so sehen können, es ist nicht wichtig, auf welcher Seite einer Klinikmauer man lebt, solange man nur lebt, wissen sie, und in ihrem Fall fürchte ich, sie leben schon lange nicht mehr und sind jetzt hier einzig aus dem Grund, daß sie sich danach sehnen, hab ich nicht recht?

Victor:                    Ja, aber

Franz:                    Kein aber, Sie müssen erst den Mut aufbringen, der Wahrheit ins Auge zu sehen, bevor sie so frei sein können wie Regina oder ich. Ihr Gefängnis istihre Doktrin, ihr Glaube. Sie glauben, in einer Demokratie seien dien frei gewählt und ignorieren dabei, daß das Geld, daß derSchlüssel zur Macht ist, niemals in freien Wahlen verteilt wird. Wachen sie  auf, Mann! Ich will sie nicht mit Politik behelligen, da bin ich drüber hinweg, ich will nur noch meinen Tag genießen, sei er, wie er ist, aber   ihnen muß ich sagen, geben sie ihren schwachsinnigen Glauben an das  Gute in der Regierung auf, denn das Gute steckt überall, nur nicht  ausgerechnet da! Nehmen sie sich ein Stück Kuchen und seien sie dankbar,  wenn sie es genießen dürfen, ohne dabei über den Haufen geschossen zu   werden. Mehr können sie von einer Regierung nicht erwarten.

Victor:                    Ach, Herr Kah, sie sind immer noch der Alte. Unbeugsam bis zum Schluß.   Aber wollen sie nicht die Frau Lapel aus ihrem Spiel herauslassen? Sie hätte es besser bei mir, wirklich, und das wissen sie auch. Geben sie sie     frei, raten sie ihr, mit mir zu gehen, ich bitte Sie!

Franz:                    He, Regina, der Typ da will, daß du mit ihm gehst!

Regina:                    Hmm?

Franz:                    Willst du mit dem V-Mann abzwitschern? Der will dich hier rausholen!

Regina:                    Nö, ich lese gerade.

Anne:                    Na, das ist ja vielleicht eine Unverschämtheit! Erst liest sie die ganze Zeit  mein Buch und dann antwortet sie noch nichtmal ordentlich (reißt ihr das Buch aus der Hand) Hör dem Herren mal zu, wenn er mit Dir redet! (fängt  an zu lesen)

Regina (wie aus Trance erwachend):                 Oh, Victor, was machst du denn hier? Franz, wollen wir ein Tänzchen wagen? Immerhin hast du heute  Geburtstag!

 

Musik. Franz und Regina tanzen.

 

Victor: (zur lesenden Anne):     Und meinen sie nicht, aus uns beiden könnte etwas   werden? Ich meine, sie sind jung, sie sind hübsch, machen sie doch etwas   aus sich. Wir zwei beide hätten eine glänzende Zukunft vor uns. Ihr  Fachwissen und meine Beziehungen, das könnte zusammen eine wahrhafte  Goldgrube sein. Wir könnten Krankheiten erfinden und Millionen verdienen! Wir könnten reich und berühmt werden. Anne?

Anne:                    Hmm?

Victor:                    Was sagen sie, wenn wir beide uns erst zusammentun, wir hätten eine große Zukunft vor uns, meinen sie nicht? (nimmt ihr das Buch aus der Hand).   Meinen sie nicht?

Anne:                    Nee, lassen sie mal, ich hab gelesen von Typen wie ihnen, erst schwingt ihr  große Reden und dann sitze ich alleine da mit meinem Kind. Nee, da bleibe ich lieber bei meinem Langeweiler. (nimmt sich das Buch zurück)

 

Regina:                    Franz, du machst mich ja ganz schwindelig.

Franz:                    Ich genieße es, mit dir zu tanzen, Regina

Regina:                    Wir können ja oben auf dem Zimmer weitertanzen. Da gibt es weniger  Zuschauer.

Franz:                    Gute Idee. Die beiden hier sind eh beschäftigt.

 

Victor:                    Aber Regina, du kannst mich doch nicht einfach hier so stehen lassen.

Regina (zu Franz):                 Ich hab den Eindruck, als hätte gerade jemand mit mir gesprochen?

Franz:                    Ach, was du dir wieder zusammendenkst. Komm, wir gehen!

Franz und Regina gehen ab

 

Victor:                    Tja, dann. Na gut. Dann werde ich auch mal gehen. Ich werde hier ja wohl nicht mehr gebraucht… Ja, dann geh ich mal. Tschüß! Tschüß, Schwester Anne!

Anne (beiläufig):                 Tschüß!

Victor:                    Tschüß, ja Tschüß!

Victor geht ab

 

Anne (liest erst, guckt dann zu den Zuschauern):                 Wollen sie wissen, was hier steht? Ich lese ihnen was vor!

“Roswitha bebte vor Wut! Er hatte sie betrogen und hintergangen. Alles war Lüge gewesen, seine Schwüre und Beteuerungen, und nur mit Schaudern dachte sie jetzt an seine Küsse, die sie doch so genossen hatte. Aber das war ihr jetzt schal geworden und plötzlich sehnte sie sich nach ihrem Zuhause, wo sie in der gewohnten Enge bei Mutti und Vati sich ins Sofa fallen lassen könnte, ohne sich für ihre Naivität und Offenherzigkeit schämen zu müssen. Was hatte sie denn falsch gemacht? Nein, der Fehler lag nicht bei ihr, es war Sam gewesen, der ihr Vertrauen ausnutzte, und Maren, die sich so dreist zwischen sie und ihm geschoben hatte...”

Spannend, nicht wahr?

                                                                                     Ende

 

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